UNTERLÄNDER IM OBERLAND – Rahm und Butter
10.08.2021 KolumneRahm und Butter
Nein. Ich war nie der Heuer-Typ.
Aber wenn im August dunkle Wolken vom Fitzer her aufzogen, hat meine Mutter in die Hände geklatscht: «Hopp, hopp, Tucki! Sie können jede Hand gebrauchen, die mithilft, das Heu vor dem grossen Regen einzubringen ...
Rahm und Butter
Nein. Ich war nie der Heuer-Typ.
Aber wenn im August dunkle Wolken vom Fitzer her aufzogen, hat meine Mutter in die Hände geklatscht: «Hopp, hopp, Tucki! Sie können jede Hand gebrauchen, die mithilft, das Heu vor dem grossen Regen einzubringen …»
Mutter schnappte ihren grossen Strohhut. Warf die Pumps in die Ecke. Und schnallte die Bergschuhe an. Sie war als eingefleischte Städterin weiss Gott auch kein Heuerinnen-Typ. Aber: «Die Bauern brauchen unsere Solidarität!»
«Aha», knurrte ich, «und dafür muss ich mich jetzt wieder von den Bremsen fressen lassen!»
Wir gingen also auf die gemähten Wiesen. Damals griffen die Bauern noch zur Sense – Gevatter Tod auf der Matte, quasi.
Wir rechten also das Heu zusammen. Und Albert hievte die schweren Ballen auf einen lottrigen Wagen. Die Kinder durften ganz oben auf dem trockenen Gras mitfahren. Verflogen war jede miese Laune.
Nach dem Einbringen hockte man in der dunklen Pieren-Küche. Es roch herrlich nach Holzfeuer und Kuhmist. Aus braunen, dicken Tonkrügen wurde kalter Lindenblütentee ausgeschenkt. Und dann kam das Schönste: goldbraune Brätzeli oder Bricelets – wie immer diese Knusperdinger, die auf einem feurigen Eisen gebacken wurden, auch heissen mögen. Der Bub war nicht zu bremsen, bis seine Mutter ihm einen Tritt unter dem Tisch gab: «So. Jetzt reicht es aber …»
Tat es nicht. Denn Lene tauchte jetzt mit einer riesigen Schüssel voll Rahm unter der Türe auf. Im Rahm steckte der Löffel bolzengerade: «Das isch de no richtigi Nidle … net soones Gschlampp wie i dr Stadt», lachte sie.
Jetzt liess auch Mutter alles Vornehme sausen und machte sich über den Rahmberg her wie die Sau am Trog. Sorry, aber so war es. Ihr Hut lag schief auf dem Kopf, die Kirschen darauf zitterten fiebrig. Und sie rieb sich stöhnend den angeschwollenen Bauch: «Ihr Oberländer wisst einfach noch, was Lebensqualität ist …!»
Es kamen dann andere Zeiten.
Bauern mit Sensen sieht man nur noch im Film. Und Bäuerinnen, die da mit dem Rechen aufkreuzen, sind gerade mal für ein Selfie mit Touristen gut.
Dafür rattern grosse Maschinen an, die das Gras mähen. Herumwirbeln. Und schön verteilen. Der Heuwagen ist ein Riesensauger, der alles aufnimmt. Und in der Scheune sorgen Apparate dafür, dass das Gras durch und durch trocknet.
«Das wirklich gute Heu mit all seinen trockenen Blüten gibt die beste Milch. Den würzigsten Käse. Hier – versuch meine Butter!», sagt Christine, die Jungbäuerin, die jeden Sommer auf die Sillerenalp geht. Morgen für Morgen lässt sie unter dem Milchbecken Flammen lodern. So kommen dann die besten Mutschli und Hobelkäse auf die Alpenwelt …
Wenn sie gut drauf ist, bringt sie mir ein Kübeli mit dem dicken Rahm. Dann noch eine Kanne von dieser Milch, die noch kuhwarm und wirklich Milch ist. Nicht pasteurisiert oder – bewahre! – gar entrahmt. Nein. Reines Naturglück. Und da können mir alle tausendmal mit dem Kuhmist, der unsere Welt zugrunde richtet, herumstänkern: Wer von dieser Milch getrunken und den dicken Rahm geschleckt hat, weiss, dass diese Welt noch in Ordnung ist.
Kürzlich kamen Gottwald und Lisbeth zu Besuch. Sie nennen sich politisch «grün-offensiv». Und sie nahmen mich arg ins Gebet, weil ich an der letzten Abstimmung in der Stadt für die Bauern Stimmung gemacht habe (okay, ohne Erfolg).
Sie palaverten den ganzen Nachmittag, wie wichtig es sei, dass in der Landwirtschaft ein Umdenken stattfinden müsse. Und dass diese Milchprodukte oder gar Fleisch vom Rind – igitt! – «Teufelszeug» wären.
Ich habe dann meinen Zwetschgenkuchen aufgetischt. Und dazu eine Schüssel von Christines dickem Rahm. Sie machten sich so gierig darüber her wie damals meine Mutter – oder eben: wie die Schweine am Trog. Ihr wisst schon.
Schliesslich verlangten sie zwecks Verdauung nach einem Bätziwasser, das auch einer der Bauern gebrannt hatte.
Als sie wieder ins Unterland fuhren, verabschiedeten die beiden sich etwas verlegen mit «na ja – wegen einmal …»
Dann nahm mich Lisbeth auf die Seite: «Kannst du mir was von diesem Rahm nach Basel mitbringen? Ich meine: Da weiss man doch, was man hat …»
Und Gottwald flüsterte mit glasigen Augen «Gibt’s diesen Schnaps zu kaufen?»
«NEIN» – sagte ich bestimmt. «ZWEI MAL NEIN! Die Bauern produzieren nachhaltig – und nicht im Übermass! Das ist kein chinesischer Tofu!»
Sie hauten gekränkt ab. Und ich strich mir eine dieser dotterblumengelben «Anggeschnitte» mit der Alpbutter, die das Leben im Oberland so wunderbar macht!
- MINU
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