Von Alpenfaltung, Bergahorn und Dürrenmatt
13.08.2021 Reichenbach, KientalAuf dem Programm des Alpentheater-Kultursommers stehen nebst Konzerten auch drei Wanderungen. Die erste fand letzten Sonntag statt. Mit seinen kurzweiligen Erzählungen packte Urs Gilgien die TeilnehmerInnen.
KATHARINA WITTWER
15 mehrheitlich ältere Interessierte ...
Auf dem Programm des Alpentheater-Kultursommers stehen nebst Konzerten auch drei Wanderungen. Die erste fand letzten Sonntag statt. Mit seinen kurzweiligen Erzählungen packte Urs Gilgien die TeilnehmerInnen.
KATHARINA WITTWER
15 mehrheitlich ältere Interessierte nahmen vergangenen Sonntag an der Kulturwanderung teil. Die Premiere ist durchaus geglückt. Mit Urs Gilgien konnten die Inhaberinnen des Alpentheaters einen profunden Kiental-Kenner verpflichten.
Der Mitinitiator des Reichenbacher Flurnamenbuches kennt die Geschichte der Flurnamen bestens. «Die Berge erhielten ihre Namen erst spät», dozierte der pensionierte Lehrer. Nach der Veröffentlichung von Albrecht von Hallers Gedicht «Die Alpen» (1729) kam der Bergtourismus langsam auf und die Gipfel «benötigten» Namen. Oft wurden sie von unterhalb gelegenen Fluren übernommen oder abgeleitet. Die im Tal häufig vorkommenden weiblichen Bezeichnungen wie «Weisse Frau», «Wilde Frau» oder «Frauenweide» gehen auf den damaligen Besitzer, das Frauenkloster Interlaken, zurück.
«Miesch» heisst Moos – und das ist feucht
Die Wanderung führte von der «Mieschwiid» zurück ins Dörfli. «Hier ist es feucht, wogegen es in der ‹Derri› oben eher trocken ist», beschrieb Gilgien diese beiden Flure. Auch mit Hintergründen über die Bewirtschafter wusste er aufzutrumpfen.
Erdgeschichtlich spannte er den Bogen von der Alpenfaltung über den Rückgang der Gletscher bis zu den geplanten Hochwasserverbauungen. Bei wolkenlosem Himmel wären drei verschiedene Gesteinsarten zu sehen gewesen. Typische Seitenmoränen – wie in der Lengschwendi deutlich erkennbar – liessen die Gletscher auf beiden Talseiten zurück. Das Kiental ist ausserdem bekannt für seine Bergahorne. Obschon das Tal nie von den Kelten besiedelt war, wusste Gilgien auch über die keltische Baum-Mystik Bescheid.
«Direttissima Schweiz»
1983 durchquerte der Bergsteiger und Fotograf Markus Liechti mit einem Team die Schweiz auf dem Kilometer 160 von West nach Ost. Dieses verrückte Abenteuer wurde damals vom Schweizer Radio begleitet. Der «Weg» führte auch vom Dörfli Kiental auf der Felswand am Dryspitz empor. Gilgien zitierte aus Liechtis Buch: «Wir sind keine 1000 Meter über dem Meer, und doch versperrt uns hier eine mächtige Felswand den ganzen Korridor. Noch niemand ist da hinaufgegangen, wir hingegen müssen!»
Kaum jemand weiss, dass es auch im Kiental eine Sust gab. «Es ist eines der ältesten Häuser und dient dem auswärtigen Besitzer als Ferienhaus.» Leider war niemand anwesend und die Türe verschlossen. Bekannter hingegen ist Lenins Aufenthalt im «Bären», obschon die Kientaler Konferenz 1916 geheim war. Auch Friedrich Dürrenmatt weilte mehrmals hier in einer Ferienwohnung – als Bub mit seinen Eltern und später alleine –, um sich in aller Ruhe auf die Matura-Prüfung vorzubereiten. Erinnerungen an diesen Aufenthalt verarbeitete in seiner autobiografischen Novelle «Mondfinsternis», die ihm als Inspiration zum «Besuch der alten Dame» diente.
Weitere Kulturwanderungen: 15. August: literarische Nachmittagswanderung mit dem Autoren Beat Sterchi musikalisch begleitet von Perkussionist Julian Sartorius, Moderation Annette König. Sonntag, 29. August: Botanisch-literarische Tageswanderung mit Markus Wieser und Stefan Eggenberg unter dem Motto «Und was gäbe ich nicht für einen Alpenrosenstrauss». Mehr Informationen unter www.frutiglaender.ch/web-links.html