JUSTIZ Versuchte sexuelle Handlungen mit einem Kind und Fahren in angetrunkenem Zustand: Das Regionalgericht Oberland hat einen Mann zu einer achtmonatigen, bedingten Freiheitsstrafe und zu einer Busse verurteilt. Er war zuvor verdeckten Ermittlern ins Netz gegangen.

PETER SCHIBLI
Auf einer Chatplattform hatte ein 55-jähriger Kandertaler im März 2019 eine angeblich 13-jährige Maria kennengelernt. Schon nach kurzer Zeit drehte sich die schriftliche Konversation um sexuelle Themen, Vorlieben und Praktiken. Der Internetkontakt wurde während elf Monaten fortgeführt. Beim vierten und fünften Chatkontakt im Februar 2020 schlug der Mann der Minderjährigen ein persönliches Treffen vor, bei dem er die besprochenen sexuellen Handlungen ausprobieren wollte. Die beiden verabredeten sich beim «Brezelkönig» in der Thuner Bahnhofunterführung. Doch statt des vorgeblichen, inzwischen 14-jährigen Mädchens erschien die Polizei und verhaftete den geschiedenen Mann und Vater von vier Kindern. Er war verdeckten Ermittlern ins Netz gegangen.

Neugierig, ob die 14-Jährige erscheinen würde
Nach sechs Stunden Einvernahme wurde der Oberländer, der inzwischen aus dem Tal weggezogen ist, freigelassen und ein Jahr später, im Februar 2021, von der Staatsanwaltschaft Oberland angeklagt. Die Vorwürfe: versuchte sexuelle Handlungen mit einem Kind und Fahren in angetrunkenem Zustand. Zum Treffpunkt war er nämlich alkoholisiert mit dem Auto gefahren. Am vergangenen Donnerstag musste sich der Beschuldigte vor dem Regionalgericht Oberland in Thun für seine Handlungen verantworten.

Bei der Befragung gab der Mann die Sex-Chats mit der Minderjährigen und die qualifizierte Widerhandlung gegen das Strassenverkehrsgesetz zu. Wie bereits während den polizeilichen Einvernahmen bestritt er vor Gericht aber den Vorsatz zu sexuellen Handlungen vehement. Er habe nie die Absicht gehabt, die sexuelle Integrität des Mädchens zu verletzen, versicherte er Gerichtspräsidentin Eveline Salzmann. Er sei einfach neugierig gewesen, ob die 14-Jährige erscheinen würde. Gleichzeitig bestätigte er, dass er im fraglichen Zeitraum auch mit volljährigen Frauen und zweibis dreimal mit Minderjährigen Sex-Chats geführt hatte. Dabei habe er sich jeweils selbst befriedigt.

Eine instabile Lebensphase
Gleich zu Beginn seines Plädoyers stellte der amtliche Verteidiger klar, dass er weder den Sachverhalt noch die Chatprotokolle bestreite. Auch seien die verdeckten Ermittler im Internet zurückhaltend vorgegangen und hätten den Beschuldigten weder zu einem Treffen noch zu sexuellen Handlungen gedrängt. Rechtsanwalt Stefan Schmutz zweifelte aber am Vorsatz seines Mandanten. Er erklärte die Sex-Chats und den Vorschlag für ein persönliches Treffen mit dessen instabiler Lebensphase in den Jahren 2019 und 2020.

Nach der Trennung von seiner damaligen Frau sei der Beschuldigte zunehmend verwahrlost, habe sich in seiner Wohnung einsam gefühlt und dem Alkohol zugesprochen. Seine freie Zeit habe der Mann vorwiegend mit Chats verbracht. Als entlastend erwähnte der Anwalt die Tatsache, dass nicht von Beischlaf die Rede war. Beruflich sei sein Mandant gut integriert und fühle sich auch am neuen Wohnort zufrieden. Sein Hobby könne er inzwischen wieder ausüben, und eine Therapie zeige Fortschritte, wie der Bericht einer Psychologin bestätige. Stefan Schmutz plädierte deshalb auf Freispruch bezüglich der sexuellen Handlungen und auf eine Busse bezüglich des Strassenverkehrsdelikts. Ein lebenslängliches Tätigkeitsverbot mit Minderjährigen, wie es die Staatsanwaltschaft beantragte, lehnte der Anwalt ab.

Die Initiative ging vom Täter aus
In ihrer Urteilsbegründung hielt Gerichtspräsidentin Eveline Salzmann dem Beschuldigten entgegen, angesichts der eindeutigen Chatprotokolle sei es nicht glaubhaft, den Vorsatz zu sexuellen Handlungen zu bestreiten. «Es war ein bisschen viel Aufwand, nur um die Minderjährige zu sehen», meinte die Richterin. Die Initiative für ein persönliches Treffen sei klar vom Täter ausgegangen – genau wie die Vorschläge für konkrete Sexpraktiken. Das Alter seiner angeblichen Chatpartnerin habe der Beschuldigte gekannt. Positiv gewichtete sie die Geständnisse des Mannes und dessen Willen zur Besserung.

Das Gericht verurteilte den Oberländer zu einer achtmonatigen, bedingten Gefängnisstrafe (Probezeit drei Jahre), zu einer bedingten Busse in der Höhe von 3600 Franken und zu einer unbedingten Geldstrafe von 900 Franken. Beim Tätigkeitsverbot wählte die Richterin den vom Verteidiger vorgeschlagenen Kompromiss: Der Beschuldigte darf in einem Betrieb mit Lernenden arbeiten, diese aber nicht ausbilden. Kontakte zu Kindern und Jugendlichen im ausserberuflichen Bereich (Verein, Kirche usw.) bleiben ihm lebenslang verboten.

Von verdeckten Ermittlern überführt

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