Der Ursprung des «Hydraulic Valley»
07.09.2021 GesellschaftGESCHICHTE Rückschläge und Wirtschaftskrisen haben die Firma Wandfluh jeweils gestärkt. Investiert wurde oft gerade in den schweren Zeiten, wie der Rückblick auf 75 Jahre Industriegeschichte zeigt.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Mut zur Vorwärtsstrategie zeichnet die 75 ...
GESCHICHTE Rückschläge und Wirtschaftskrisen haben die Firma Wandfluh jeweils gestärkt. Investiert wurde oft gerade in den schweren Zeiten, wie der Rückblick auf 75 Jahre Industriegeschichte zeigt.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
Mut zur Vorwärtsstrategie zeichnet die 75 Jahre der Firma Wandfluh aus. Angefangen hat es 1946, als Rudolf Wandfluh sich selbstständig machte. Er gründete in Rybrügg eine mechanische Werkstätte, entwickelte Maschinen für die Uhrensteinindustrie. Als diese Branche kriselte, übernahm er ein Patent für Strickmaschinen. Doch bereits 1954 starb er 29-jährig völlig unerwartet. Seine Witwe Gertrud führte die Firma weiter, sorgte für die drei Kinder und zwölf Angestellten, damals eine absolute Ausnahme in der Wirtschaftswelt. Ein Freund machte ihr den Einstieg in die Ventilproduktion schmackhaft, da Grosskonzerne wie Sulzer steigenden Bedarf meldeten. Auf diesen hochpräzisen Hydraulikelementen gründet denn auch der Erfolg des heutigen Unternehmens.
Ventile statt Uhrensteine
Die Firma wuchs stetig und laufend wurden Produkte verbessert oder neu entwickelt. Auch die Elektronik hielt Einzug. Langjährige wichtige Mitarbeiter verliessen aber die Firma und eröffneten in derselben Branche eigene Unternehmen – mit unterschiedlichem Erfolg. Als Beispiel sei die heute zur Bucher-Gruppe gehörende Hydrotechnik Frutigen genannt, die von ehemaligen Wandfluh-Kadern gegründet wurde.
Während das Frutigtuch, der Bergbau, die Zündhölzliproduktion und die Uhrenindustrie aus dem Tal verschwanden, entstand aus einer kleinen Werkstatt und mit viel Willenskraft ein neuer Industriezweig, der heute direkt und indirekt in verschiedenen Firmen rund 600 Arbeitsplätze bietet. Der Begriff «Hydraulic Valley» für das Frutigtal steht für Flexibilität, Präzision und Qualität.
Ein weltweites Netz entsteht
Mit der zweiten Generation – Hansruedi Wandfluh – begann die Internationalisierung. Tochtergesellschaften und Niederlassungen entstanden schrittweise in den USA, in England, Frankreich, Österreich, Deutschland und China.
Für die Produktion wurde es in regelmässigen Abständen zu eng im Tal. In der Helke wurden neue Gebäude und Hallen erstellt, die neuste konnte letzte Woche nach über zehn Jahren Planung und Kampf gegen Einsprachen eingeweiht werden. Dies war eine Aufgabe für Matthias Wandfluh – die dritte Generation der Familie. Sein Wunsch, in der Firma zu arbeiten, hat sich also erfüllt, wenn auch nicht ganz in der als Jüngling geäusserten Funktion als Staplerfahrer. Seit 2017 ist er Firmenchef, seine Geschwister Anita und Andreas sind im Verwaltungsrat, und der Vater leitet diesen.
Aus Hasler wird Wapro
Um weniger abhängig von der Hydraulikbranche zu sein, wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedene Projekte gestartet. Für Aufsehen sorgte eine neuartige progressive Lenkung für Autos. Obwohl fast alle grossen Hersteller an dieser rein mechanischen Entwicklung Interesse zeigten, wurde sie nie in Serie gebaut.
Als Ende 1992 das Produktionswerk der Berner Hasler AG in Frutigen geschlossen werden sollte, kam Wandfluh zum Zug. Man war zwar schon vorher im Gespräch gewesen, die unterschiedlichen Preisvorstellungen hatten jedoch eine frühere Übernahme verhindert. Die gesamte Belegschaft von 50 Personen wurde gleich übernommen und heute ist die Wandfluh Produktions AG (Wapro) eine weitgehend eigenständige und erfolgreiche Firma mit 70 Angestellten für Kundenaufträge und Automation.
Normalisierung des Marktes
Gut 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind bei der Gruppe angestellt, davon etwa 350 in der Schweiz. Praktisch die gesamte Ventilproduktion landet direkt oder indirekt als Bestandteil von Maschinen im Ausland. In Baumaschinen, Bahnen, Schiffen, Zügen, Flugzeugen, Autos, Seilbahnen, Kraftwerken und Produktionsmaschinen findet man die Bauteile aus Frutigen. «Die Auftragslage ist erfreulich», sagt CEO Matthias Wandfluh. «Wir beschäftigen uns heute zum Glück mehr mit verzögerten Materiallieferungen als mit Kurzarbeit und Viren.»