KOLUMNE – QUERGESEHEN
21.09.2021 KolumneGut und gerne gendern
Liebe Leser, liebe Leserinnen und Leser, liebe Lesende, liebe Leserschaft, liebe Leser(innen), LeserInnen, Leser / innen, Leser_innen, Leser*innen, Leser:innen und Leserïnnen, willkommen in der vielfältigen Welt der geschlechtergerechten Sprache! ...
Gut und gerne gendern
Liebe Leser, liebe Leserinnen und Leser, liebe Lesende, liebe Leserschaft, liebe Leser(innen), LeserInnen, Leser / innen, Leser_innen, Leser*innen, Leser:innen und Leserïnnen, willkommen in der vielfältigen Welt der geschlechtergerechten Sprache! Welche der obigen Möglichkeiten sagt Ihnen am ehesten zu? Die Frage geht vor allem an die Frauen. Denn sie sind es ja, die heute im Schriftlichen wie im Mündlichen begreiflicherweise nicht nur «mitgemeint», sondern auch mitgenannt werden wollen. Ebenso jene selteneren Personen, die sich weder dem einen noch dem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Aber auch Männer müssen sich entscheiden, auf welche Weise – und ob überhaupt – sie Frauen beim Schreiben und Reden ausdrücklich miterwähnen wollen. Doppelpunkt, Stern, Unterstrich oder neuerdings das ï-Trema, alles auch für die «LGBTQIA+»-Szene gedacht ... das Angebot ist gross, die Wirrnis ebenso. Der «Rat für deutsche Rechtschreibung», das zuständige Organ im deutschen Sprachraum, hat sich bisher zu keiner Empfehlung durchgerungen. So treibt das, was man «Inklusion» nennt, derzeit die diversesten Blüten, je nach Gusto, Ideologie oder Gewohnheit der Schreibenden. Wie viel leichter haben es hier die Angelsachsen! Im Englischen unterscheiden die meisten Berufs- oder Tätigkeitsbezeichnungen nicht zwischen Mann und Frau: The reader steht für den Leser und die Leserin zugleich; teacher, doctor, professor, baker, mechanic und sailor sind lauter Begriffe ohne Geschlechtszuschreibung. Zwar enden sie oft auf «r», was einen männlichen Beiklang erzeugt – aber weil gar keine weibliche Form existiert, haben worker, singer oder farmer eine selbstverständliche Geschlechtsneutralität. Es gibt Ausnahmen wie die actress (Schauspielerin) – aber auch hier steht actor zunehmend für Männer und Frauen. Auf Deutsch ists leider komplizierter. Mein etwas altmodisches, dem weiblichen Inklusionsrecht jedoch nicht abgeneigtes Sprachempfinden sagt:
1. Das Verwenden ausschliesslich männlicher Formen (das sogenannte generische Maskulinum) hat definitiv ausgedient. Denn es ist hinlänglich erwiesen, dass die Sprache unsere Wahrnehmung, unser Weltbild und letztlich die Wirklichkeit prägt – in diesem Fall zuungunsten der Frauen. Bloss «mitgemeint» zu sein, ist den Frauen nicht länger zuzumuten. Jedenfalls nicht allen.
2. Allerlei Satz- und Sonderzeichen inmitten von Wörtern verunstalten das Schriftbild; je nach Satzaufbau entsteht ein schwer lesbares Zeichendurcheinander, bei platzgreifenden Symbolen wie dem Stern und dem Unterstrich ganz besonders. Lieber nicht!
3. Es muss einen Mittelweg geben: mit «Leserinnen und Leser» beide Geschlechter nennen. Neutrale Begriffe wie «Lesende» verwenden, «Publikum» statt «Zuschauer»: Mit etwas Kreativität lässt sich manche Genderklippe stilvoll umschiffen. Männliche und weibliche Formen abwechselnd einsetzen. Allenfalls auf das altbewährte, sonderzeichenfreie Binnen-I («LeserInnen») zurückgreifen.
4. Nicht stur sein, dem Textfluss zuliebe auch mal den Fünfer gerade sein lassen. Keine Regel ohne Ausnahme.
5. Und schliesslich: nicht aufregen! Sprache ist etwas Lebendiges, sie darf sich verändern. Vieles, was zunächst irritiert, wird mit der Zeit zur harmlosen Routine. Bleiben wir also gelassen, wenn es ringsherum gendert.
TONI KOLLER
TONI_KOLLER@BLUEWIN.CH