Ende September stimmen wir über die «Ehe für alle» ab. Kein Wunder also, dass in den sozialen Medien rege darüber diskutiert wird. Mich erstaunt jedoch, wie viele Menschen sich mit der Öffnung der Ehe für alle Liebenden, gleich welchen Geschlechts, schwertun. Eins ist unbestritten: Die Ehe ...
Ende September stimmen wir über die «Ehe für alle» ab. Kein Wunder also, dass in den sozialen Medien rege darüber diskutiert wird. Mich erstaunt jedoch, wie viele Menschen sich mit der Öffnung der Ehe für alle Liebenden, gleich welchen Geschlechts, schwertun. Eins ist unbestritten: Die Ehe zwischen Mann und Frau ist uns lieb und teuer. Doch ich finde, jetzt ist es an der Zeit, diese Tradition zu öffnen und neuen Wertvorstellungen anzupassen – wie es zahlreiche europäische Länder schon vorleben.
Homosexuelle Paare gaben sich symbolisch am 14. August 2021 auf dem Helvetiaplatz in Bern das Ja-Wort. Die aus dem 17. Jahrhundert stammende fiktive Namenspatronin des Ortes wäre darüber sicher entsetzt gewesen, zu ihrer Zeit galt in Europa die gleichgeschlechtliche Sexualität als gotteslästerlich. «Sodomiten» wurden verfolgt und landeten oft auf dem Scheiterhaufen. Jahrhunderte vorher, im antiken Griechenland, war die Liebe unter Männern und unter Frauen jedoch akzeptiert. Vorgelebt hatte es schliesslich der schier unbezwingbare Halbgott Herakles, der mit seinem Neffen Iolaos eine leidenschaftliche Liebesbeziehung pflegte. Und da bekannterweise nichts stärker als die Liebe ist, wurde in Theben 379 v. Chr. eine Elitetruppe aus schwulen Söldnern aufgestellt, um dem mächtigen Feind aus Sparta die Stirn zu bieten. Auch die Erotik unter Frauen ist im alten Griechenland, respektive auf der Insel Lesbos, verankert. Dort lebte die Dichterin Sappho, die mit ihren Liedern der Schönheit ihrer Freundinnen, Schülerinnen und auch ihrer Tochter huldigte. Jahrhunderte später wurden ihre Werke als Zeichen der Liebe Sapphos zu Frauen interpretiert.
Was aber, wenn diese Werte aus dem antiken Griechenland ins Abendland geschwappt wären? Zweifelsohne hätten sie Poesie und Prosa beeinflusst. Vielleicht wäre Shakespears Julia ein Julius gewesen? Romeo hätte mit schmachtendem Blick im Garten der Capulets gestanden: «Was schimmert durch das Fenster dort? Es ist der Ost und Julius, die Sonne…» Dieser antwortete: «Wenn deine Liebe tugendsam gesinnt Vermählung wünscht, so lass mich wissen…» Oder möglichweise wäre auch der Feder von Edgar Rice Burroughs eine Tarzaine entsprungen? Hätten sie und Jane sich nach zahlreichen Dschungelabenteuern als Ladys Greystoke im heimatlichen Schottland niedergelassen?
In der Natur hat die Homosexualität jedenfalls ihren festen Platz. Forscher berichten von Elefanten, Giraffen, Vögeln usw., die Spass am Sex mit gleichgeschlechtlichen Partnern haben und «Regenbogenfamilien» gründen: Männliche Flamingopaare stehlen Eier von ihren heterosexuellen Artgenossen und ziehen die Küken als eigene auf. Lesbische Störche lassen sich von «Samenspendern» begatten und Möwenmännchen adoptieren kurzerhand verlassene Jungtiere.
Ein Ja zur «Ehe für alle» wäre für die Schweiz ein mutiger historischer Schritt zur Gleichstellung von hetero- und homosexuellen Paaren. Ich bin überzeugt, ein «Ja» würde unsere gesellschaftlichen Werte und Traditionen keinesfalls untergraben, sondern stärken.
BARBARA STEINER-SUTER
AUFAUGENHOEHE@OUTLOOK.COM