Von Tuten, Blasen und Gebrauchslyrik
14.09.2021 AdelbodenGerman Brass, die deutsche Weltklasseformation, eröffnete das diesjährige Swiss Chamber Music Festival mit fulminanter Blasmusik – und einer ungewöhnlichen Moderation.
RETO KOLLER
Seit 1985 tourt die hochkarätige Formation aus Blechbläsern der bedeutendsten ...
German Brass, die deutsche Weltklasseformation, eröffnete das diesjährige Swiss Chamber Music Festival mit fulminanter Blasmusik – und einer ungewöhnlichen Moderation.
RETO KOLLER
Seit 1985 tourt die hochkarätige Formation aus Blechbläsern der bedeutendsten Orchester Deutschlands um die Welt. Nachdem der Auftritt des zehnköpfigen Brass-Ensembles im Festival-Jubiläumsjahr 2020 verschoben werden musste, war es am Freitagabend in der nach «altem» Corona-Regime gut besetzten Adelbodner Dorfkirche so weit.
So würdig die Herren in Schwarz mit weissem Hemd und Fliege gekleidet waren, so witzig und aussergewöhnlich war die Moderation des Hornisten Klaus Wallendorf. Einen Hinweis gab schon die Selbstbeschreibung des Musikers: Er nennt sich auch «Gelegenheitsliterat und Gebrauchslyriker».
Geblasene Ode an den Meister
Johann Sebastian Bach gilt in der Musikwelt in vielen Belangen als Mass aller Dinge. German Brass widmete dem Barockkomponisten den ersten Teil des Auftrittes. Der Trompeter und «Bandleader» Matthias Höfs hat die Werke für Bläser arrangiert. Vier Trompeten, drei Posaunen, zwei Hörner und eine Tuba liessen die Bach’schen Kantaten, Fugen und Toccaten mal mächtig, mal getragen oder feinsinnig klingen – immer mit unübertrefflicher Meisterschaft vorgetragen und mit Witz und Ironie eingeführt von Moderator Klaus Wallendorf – meist gar in Gedichtform. Der Hornist der Berliner Philharmoniker brillierte mit seinen Versen und deutschen Dialektimitationen.
Besonders originell war die Einführung in ein Bach-Werk, bei der er ein parodistisches Zwiegespräch Bachs mit seiner Ehefrau Anna Magdalena imitierte – in reinstem Thüringer Dialekt. Ebenso heiter war die Moderation eines weiteren Werkes, bei der Wallendorf sich vorerst im blasierten und verkopften Jargon der Musikwissenschaft verlor, bevor er sich selbst mit einem kurzen, im urbayerischen Dialekt gehaltenen Einwurf auf den Boden der musikalischen Realität zurückholte. Das Publikum war begeistert.
Eine Weltreise in Blech
Im zweiten Konzertteil verliessen die zehn Musiker die Welt des Barocks und begaben sich auf eine musikalische Reise rund um den Globus. Zunächst gings in die USA der 30er-Jahre mit einem Ausflug in den Dixieland-Jazz und Medleys aus amerikanischen Musicals. Anschliessend ging die Reise weiter in die südamerikanischen Anden. Moderator Wallendorf schilderte – wieder in Gedichtform – die Befindlichkeiten der Musiker und ihres fiktiven Reiseführers. Nächste Station war Frankreich: Die Bläsertruppe gab einen bunten Strauss von Chansons und Musicals zum Besten, wiederum originell präsentiert vom Moderator. Komödiantischer Höhepunkt war die von Wallendorf komponierte und in Japanisch gesungene «U-Bahn-Polka» – ob es wirklich diese Sprache oder eher eine weitere Parodie war, überfordert die Kenntnis des Schreibenden.
Der grossartige Auftritt der Formation wurde mit Standing Ovations des hingerissenen Publikums belohnt. Die Musiker revanchierten sich mit zwei Zugaben, bevor man sich zum After-Concert-Apéro ins Hotel The Cambrian begab. Dort wartete der einzige Wermutstropfen des Abends: Weil das Hotel bereits vorzeitig die ab Montag geltenden Corona-Regeln mit Zertifikatsobligatorium anwandte, erhielten einige Konzertgäste keinen Einlass, was zu unliebsamen Diskussionen führte.