Der Kanton Bern ermittelt die Fallzahlen pro Verwaltungskreis und Gemeinde, die Daten stellt er in einer übersichtlichen Karte dar. Das ist zwar transparent, hat aber auch ungewollte Nebenwirkungen.

JULIAN ZAHND
Anzahl Hospitalisationen, Testrate, Impfquoten pro Altersgruppe: Aus dem Corona-«Cockpit» lässt sich einiges herauslesen; der Kanton Bern aktualisiert die Kennzahlen auf seiner Homepage laufend. Die Impfquoten sowie die 7-Tage-Inzidenz, also die Fallzahlen der gesamten letzten Woche, sind zudem geografisch aufgeschlüsselt und in einer Karte abgebildet.

In dieser Darstellung macht die Region derzeit keine allzu gute Figur. Ein Artikel in den Berner Tageszeitungen verglich letzten Mittwoch die Fallzahlen innerhalb der Verwaltungskreise, und nirgends waren sie zu diesem Zeitpunkt höher als in Frutigen-Niedersimmental (181 Infizierte pro 100 000 Einwohner). Gleichzeitig ist die Impfquote in diesem Verwaltungskreis mit rund 61 Prozent Erst- und Zweitgeimpften die tiefste im Kanton. Ein genereller Zusammenhang zwischen Fallzahlen und Impfrate lasse sich im Kanton Bern jedoch nicht ausmachen, wurde im Beitrag betont. Im Berner Jura beispielsweise ist aktuell sowohl die Anzahl Erkrankter als auch jene der Geimpften vergleichsweise tief. Weiter wurden im Artikel sogenannte «Corona»-Hotspots, also die Gemeinden mit der höchsten Inzidenz, herausgefiltert. Auch diese Daten können dem kantonalen «Cockpit» entnommen werden.

Tendenz zur Überinterpretation
Was bedeuten nun all diese Zahlen? – Welche Gebiete man derzeit besser meiden sollte? Dass die Impfung nicht hält, was sie verspricht? Weder noch, denn dafür sind die Vergleiche zu kleinteilig und zu wenig robust. Je kleiner die Datenbasis, desto grösser sind die kurzfristigen Schwankungen und desto relevanter ist der Zeitpunkt, zu dem die Zahlen konsultiert werden. Wenn beispielsweise in der Gemeinde Kandergrund (rund 800 Einwohner) eine infizierte Person an einem Familienessen 9 weitere Personen anstecken würde, dann stiege die 7-Tage-Inzidenz pro 100 000 Einwohner in dieser Gemeinde kurzfristig auf 1250 an. Auf der interaktiven Karte des Kantons sind Gemeinden mit solch hohen Werten dunkel eingefärbt, obwohl sich der Infektionsherd womöglich auf wenige Haushalte beschränkt. Nach einigen Tagen können diese Werte schon wieder ganz anders aussehen. Das gilt auch für die Zahlen in den Verwaltungskreisen. Bereits einen Tag nach Erscheinen des Tamedia-Artikels war die 7-Tage-Inzidenz auf 134 Infektionen pro 100 000 EinwohnerInnen gesunken. Die Zahlen sind somit Momentaufnahmen, die nicht überinterpretiert werden sollten.

«Die Nachfrage ist da»
Was den Zusammenhang zwischen Impfquote und Infektionen angeht, gibt es auf nationaler Ebene grossflächigere Vergleiche mit wesentlich mehr Aussagekraft. Laut Epidemiologen hat die Impfung schweizweit sowohl auf die Fallzahlen als auch auf die Hospitalisationen einen deutlichen Einfluss. Gundekar Giebel von der kantonalen Gesundheitsdirektion rät eher davon ab, die Daten allzu detailliert miteinander zu vergleichen. Wichtiger als die Momentaufnahme ist ihm die allgemeine Tendenz im Kanton: «Die Zahlen sinken stetig, die Lage ist zurzeit entspannt.» Im Winter könne sich das allerdings wieder ändern. Bis Ende November strebt der Kanton Bern deshalb eine Impfquote von 75 Prozent an.

Doch weshalb schlüsselt der Kanton Bern die Daten überhaupt so kleinteilig auf? «Weil die Nachfrage da ist», sagt Giebel. So habe der Kanton im September 2020 nach kurzem Unterbruch wieder begonnen, die Zahlen pro Verwaltungskreis und Gemeinde zu publizieren, nachdem sich täglich mehrere Gemeindebehörden, Privatpersonen und Medienleute nach den Daten erkundigt hätten.

Wer sich für Corona-Zahlen interessiert, der kann sich via «Cockpit» rasch einen Überblick verschaffen. Der Kanton ist transparent, das ist auch vertrauensbildend. Bei der Interpretation der Daten ist jedoch Vorsicht geboten.

Eine Spielwiese für Zahlenliebhaber

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