DER WAHNSINN IN KARTON
Sie stapeln sich unter den Briefkästen vor der Haustüre. In drei Lagen übereinander, acht sind es heute. Ich habe aufrichtig Bedauern mit dem Pöstler oder der Pöstlerin, die an diesem Tag Dienst hatte. Zumindest ein bisschen, schliesslich gehört ...
DER WAHNSINN IN KARTON
Sie stapeln sich unter den Briefkästen vor der Haustüre. In drei Lagen übereinander, acht sind es heute. Ich habe aufrichtig Bedauern mit dem Pöstler oder der Pöstlerin, die an diesem Tag Dienst hatte. Zumindest ein bisschen, schliesslich gehört es ja zur Kernkompetenz des gelben Riesen, neben nervigen Rechnungen auch Pakete auszuliefern. Unterstützung gibt es zudem von den diversen Lieferdiensten, deren Fahrer hektisch ihren vollgestopften Laderaum leeren.
Wenn ich mir vorstelle, dass in jedem Mehrfamilienhaus so eingekauft würde, na, dann gute Nacht für die Läden im Dorf! An der Anzahl Pakete kann man schon den Wochentag erahnen: am Wochenende bestellt – mittwochs oder spätestens donnerstags wird geliefert. Und am Freitag geht die Hälfte wieder retour, wetten? Wenn in einem Ort wie Frutigen mit neuerdings über 7000 Einwohnern beispielsweise kein Schuhgeschäft mehr eine Zukunft hat, dreht sich die Spirale weiter und schneller. Kein Wunder, im Internet sind die Preise leicht vergleichbar, die Welt des grenzenlosen Konsums liegt nur einige Klicks entfernt. Und das Angebot ist praktisch unbegrenzt, irgendwo gibt es das Gesuchte in der passenden Grösse und der gewünschten Farbe, und das alles ohne auch nur aus dem Haus zu müssen.
Pakete empfangen und wieder zur Post bringen ist mittlerweile sowas wie eine eigene Sportart geworden. Dazu beigetragen hat massgeblich ein Kleiderversandhaus, dessen mit einem orangen Logo versehene Pakete fast schon als Modeaccessoire durchgehen, weil sie permanent durch die Landschaft getragen werden. Die Pakete müssen also nicht mal aus China kommen – dafür sind letztere oftmals eher Überraschungseier, was den Inhalt und die Qualität angeht.
Man hat sich aber bereits (fast) daran gewöhnt: Die Post baut ihre Verteilzentren aus, und den Zeitungen fehlt mal das Papier, weil es für die Herstellung von Kartonschachteln dringender benötigt wird. Und der Black Friday sowie der Cyber Monday – die Weihnachtstage der Onlinehändler respektive die gnadenlose Rabattschlacht – stehen am 26. und 29. November erst noch vor der Türe.
HANS RUDOLF SCHNEIDER
H.SCHNEIDER@FRUTIGLAENDER.CH