UNTERLÄNDER IM OBERLAND – Läckerli im Oberland
05.10.2021 KolumneLäckerli im Oberland
Backen ist nicht mein Ding.
War es nie.
Meine Wähen sehen aus wie verrusste Wagenräder. Und mit meinen Kugelhöpfen kann jeder Fussball spielen.
Das Backdrama liegt in den Genen.
Während ich immerhin noch Hörnli mit Apfelmus ...
Läckerli im Oberland
Backen ist nicht mein Ding.
War es nie.
Meine Wähen sehen aus wie verrusste Wagenräder. Und mit meinen Kugelhöpfen kann jeder Fussball spielen.
Das Backdrama liegt in den Genen.
Während ich immerhin noch Hörnli mit Apfelmus (Büchse!) vom Herd wursteln kann, war bei meiner Mutter punkto Kochkunst zero. NULL. Nada.
Man sagt stets: Die Liebe geht durch den Magen. Wen wunderts also, dass mein Vater sein Glück bei andern Pfannen suchte.
Während der Adelbodener-Monate hielt ich mich stets in der Küche von Käthi, Marie oder Lisette auf. Hier loderte schon frühmorgens das Feuer im grossen Gusseisenherd. Und irgendetwas brutzelte stets in den Pfannen: Röschti … Spiegeleier à discretion … und wenns dann ganz hoch kam, wurden «Schenkeli» ins zischende Fett geworfen – dies jedoch meistens nur auf grosse Festivitäten hin wie Hochzeiten, Geburtstage und manchmal auch, wenn der Herrgott wieder einmal jemanden aus der Familie abberufen hatte und die bittere Trauer mit dem Gebäck etwas versüsst wurde.
Ich erinnere mich, dass ich meine Kindertage vor den grossen Anlässen bei den Nachbarbauern unter dem Tisch verbracht habe. Oben wurde geknetet, ausgewallt, geformt – und uns Kindern warf man verbrannte «Schlüferli» oder zerbrochene «Chnüüplätz» zu. So wie man hungrigen Hunden mitunter einen Brocken Abfall zukommen lässt …
Natürlich hockte jede Bäuerin auf ihrem Hausrezept wie die Glugge auf den Eiern. Lisette drückte die besten «Brätzeli» aufs feurige Eisen. Und Anna war ganz gross in Apfelküchlein. Die Rezepte wurden aber so geheim gehalten wie heute Börsentipps oder der Mörder im «Tatort».
Nun war es Brauch, dass jeder, wenn er zum grossen Fest geladen war, mit einer Waschzaine voller Familienspezialitäten anmarschierte.
«Was bringen wir?», löcherte ich Mutter. «Basler Läckerli – ist ja klar! Und jetzt schau nicht so erschreckt wie Fräulein Rottenmeier vor der Kuh. Ich werde sie nicht selber machen …»
DAS HÄTTE NOCH GEFEHLT! Ich sah schon die Schlagzeilen: «Basler Hausfrau vergiftet eine Oberländer Hochzeitsgesellschaft mit Hausgebackenem!»
Ich muss erwähnen, dass ein «Basler Läckerli» etwas vom Kniffligsten ist, das in der Backwelt aufs Blech kommt. Der Teig ist härter als der Grind gewisser Politiker. Und jetzt rührt mal so etwas um! Das geht nur mit einem Betonmischer. Oder mit vier gemieteten Oberländer-Schwingerarmen der A-Klasse.
Mutter also orderte beim Grosshändler 50 Kilo vom Basler Süssen. Und da sie sparsam war, bestellte sie «Läckerli-Abfall» – das waren dann Rechtecke, die etwas angeschlagen, leicht verbrannt oder steinhart waren.
«Ja, ja – selbst gebacken!», log sie an der Hochzeit von Marianne das Blaue vom Himmel. «Ich mache sie immer noch wie die gute Oma selig …»
Die alten Bauern bissen sich an den Unterländer-Gutzi vom Rhein die letzten Zähne aus. Und wenn eine der Bäuerin Skepsis laut werden liess («Die sind aber etwas gar krumm geraten, Lotti.»), wurde Mutter sofort muffig: «Die m ü s s e n so sein. Das ist unser Familienrezept!»
Als nun im letzten Jahr die Einladung zu Gottfrieds Fünfzigstem ins Haus flatterte, fackelte ich nicht lange und griff zur Telefonnummer des Grosshändlers: «50 Kilo!». Und da ich immer in der finanziellen Wüste stecke, fügte ich (nach Familientradition) hinzu: «Abfall, bitte!». Höhnisches Gelächter am Apparat: «Das gibt es heute nicht mehr …, unser hochtechnisierter und automatisierter Backvorgang produziert keinen Abfall!»
Also biss ich in den sauren Apfel. Und blechte für den süssen Schmetter so viel, dass ich für den Preis das Hochzeitspaar zehnmal in die Clubferien nach Mallorca hätte schicken können.
Beim Kaffee-Schnaps kam Pierens Christine mit einem Läckerli auf mich zu: «Hast du die selber gemacht?»
Für einen kurzen Augenblick zögerte ich. Da ich dem lieben Gott aber einiges schuldig bin, wollte ich mein Sündenregister nicht noch mehr belasten: «Nein. Ich hab sie gekauft.»
Christine nickte besserwisserisch: «Das dachte ich mir … Wenn ich an die Läckerli deiner lieben Mutter zurückdenke, das war doch etwas ganz anderes … Da spürte man ihre Arbeit und schmeckte das alte Familienrezept!»
Von irgendeiner Wolke hörte ich schepperndes Lachen.
- MINU
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