Manege, Sägemehl und Glitzerkostüm – von Traum zu Traum
02.11.2021 Reichenbach, KientalBereits als Neunjährige träumte die Scharnachtalerin Isabelle (Isa) Hostettler von einem Leben beim Zirkus. Heute, 17 Jahre später, wohnt sie zusammen mit «ihrem» Clown in einem selbstgebauten Wagen, geht mit dem Zirkus Stey auf Tournee und baut ihr eigenes Winter-Varieté ...
Bereits als Neunjährige träumte die Scharnachtalerin Isabelle (Isa) Hostettler von einem Leben beim Zirkus. Heute, 17 Jahre später, wohnt sie zusammen mit «ihrem» Clown in einem selbstgebauten Wagen, geht mit dem Zirkus Stey auf Tournee und baut ihr eigenes Winter-Varieté auf.
KEREM S. MAURER
Isabelles Traum erwachte, als sie mit neun Jahren zum ersten Mal an der Kinderwoche des Circus Harlekin im Wallis teilnehmen durfte. Organisiert wurde diese von ihrer damaligen Lehrerin Nicole Pichler, der Tochter von Harlekin-Direktor Pedro. Von da an wusste die kleine Isa: «Der Zirkus ist meine Welt!» Heute lebt sie seit bereits drei Jahren mit ihrem Lebensgefährten, dem bekannten Clown Luc, während der Tournee in einem selbstgebauten Zirkuswagen – und das, obwohl Isa als Kind panische Angst vor Clowns hatte. «Erst, nachdem ich mit elf Jahren in einer Harlekin-Kinderwoche mit den Darstellern zusammen an einem Tisch gesessen und anschliessend ihre Verwandlung zu Clowns miterlebt hatte, begriff ich, dass sie ganz normale Menschen sind», erinnert sich die heute 26-Jährige, wie sie ihre Angst überwand. Vielleicht hat ihr dabei auch Luc geholfen, den sie in einer solchen Kinderwoche kennengelernt hatte. Ein Paar wurden die beiden jedoch erst viel später.
In Berlin erfüllte sich der grosse Wunsch
Der Zirkus war für Klein Isa eine nach Sägemehl duftende, romantische Welt mit Tieren, glamourösen Shows, applaudierenden Menschen und Zirkusmusik. «Und ich wollte unbedingt so ein schönes Glitzerkostüm anziehen!», sagt sie lachend – und ja, heute habe sie mehrere davon. Ihre ersten Auftritte hatte Isabelle Hostettler zwischen 2016 und 2019 im Circus Harlekin als Ansagerin an den Wochenendvorstellungen, oft auch als Teil einer Clown-Reprise. Ausserdem durfte sie überall mit anpacken, wo sie helfen konnte. «Dafür bin ich der Harlekin-Direktion ewig dankbar», sagt sie. Schon bald entdeckte Isa Hostettler ihre Leidenschaft für die Clownerie und bildete zusammen mit Luc ein Duo, in dem sie «die Schlaue» ist und zaubern kann – und er ist halt «der Dumme». Zusammen wurden sie in der Saison 2019 / 20 vom Berolina Weihnachtscircus aus Berlin, dem einstigen Staatszirkus der DDR, engagiert. «Das war eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens. Täglich die Begeisterung von 1000 Leuten zu spüren, ist unbeschreiblich», sagt die Scharnachtalerin, deren grosser Kindheitswunsch sich in Berlin erfüllte. «Es war so, wie ich es mir immer erträumt hatte: Vor unserem Wagen waren Elefanten, daneben die Tiger und auf dem Spaziergang traf ich auf das Nashorn.» Umso härter war danach der Schritt zurück ins normale Berufsleben im Büro – ohne Applaus und Glitzerkostüm und ohne all die Menschen, die mit ihr und Luc Fotos machen wollten. Entsprechend gross war ihre Freude, als sie und ihr Partner für die aktuelle Tournee des Ostschweizer Zirkus Stey engagiert wurden.
Eine Gemeinschaft, die ihresgleichen sucht
Enttäuscht war sie vom Zirkusleben nie, auch wenn die Realität nicht immer nur romantisch sei. Isa Hostettler erinnert sich beispielsweise an wochenlanges Regenwetter, als alles im Wohnwagen feucht war – auch die Kleider. Doch das Leben mit den anderen Artisten sei eine lebendige Gemeinschaft unterschiedlichster Sprachen und Kulturen. Es sei ein Miteinander, das seinesgleichen suche. «Man schaut zueinander, sagt sich ‹gute Nacht› und dass man sich gegenseitig gern hat.» Doch vom Zirkus alleine kann Isabelle Hostettler (noch) nicht leben. Dienstags, mittwochs und donnerstags arbeitet sie als Marketingfachfrau in Thun und besucht regelmässig ihre Eltern in Scharnachtal, ihr Pferd und die beiden Ponys – und fährt dann zurück in den Zirkus Stey, wo sie bis Sonntag arbeitet, um montags wieder zurückzufahren. Daneben studiert sie Event- und Promotionsmanagement HF. Und in der Zwischenzeit trainiert sie mit ihrem Dackelweibchen Jana, das an Weihnachten in die Reprisen eingebunden werden soll. «Mein Bett sehe ich nie vor Mitternacht», sagt sie.
Nächstes Ziel: «Varieté Castello»
Unglücklicherweise hatte Luc Anfang September einen Unfall, bei dem er sich das Knie verletzte. Dies bedeutet für ihn das frühzeitige Tournee-Aus. Doch Isabelle Hostettler und ihr Partner dürfen sich auf ein neues Engagement im nächsten Jahr beim Zirkus Stey freuen, denn eine Zusage haben sie bereits bekommen. Allerdings haben sie einen neuen Traum. Er heisst «Varieté Castello» und ist ihre eigene Dinner-Varieté-Show – ein gutes Bühnenprogramm vereint mit bester Kulinarik. Dies soll immer dann stattfinden, wenn die Zirkusse in ihren Winterquartieren auf den Frühling warten. «Meine Erfahrungen im Marketing und als Eventmanagerin lassen wir mit jenen aus den Jahren in der Showbranche in einen wunderschönen Winterevent für das Berner Oberland einfliessen», schwärmt Isabelle Hostettler. Man darf gespannt sein, ob auch ihr neuer Traum in Erfüllung geht. Erste Sponsoringpartner haben die beiden jedenfalls schon gefunden.