ZU DEUTSCH
Das Schöne am Ausgewandertsein ist: Man lernt ständig was dazu, wenn auch manchmal unfreiwillig. Als ich während eines Radiopraktikums den Fehler machte, am Telefon direkt nach der Begrüssung den Grund meines Anrufs zu verraten, wurde ich hinterher von meinem ...
ZU DEUTSCH
Das Schöne am Ausgewandertsein ist: Man lernt ständig was dazu, wenn auch manchmal unfreiwillig. Als ich während eines Radiopraktikums den Fehler machte, am Telefon direkt nach der Begrüssung den Grund meines Anrufs zu verraten, wurde ich hinterher von meinem Lehrmeister zurechtgewiesen: «Das war jetzt aber sehr deutsch von dir.» In der Schweiz müsse man immer erst ein wenig plaudern, bevor man zur Sache komme. Alles andere wirke unhöflich. Seitdem versuche ich stets, irgendeinen Zwischensatz einzubauen – und sei es etwas noch so Sinnloses wie «darf ich Sie kurz stören?» (was soll man darauf schon antworten, nachdem man den Hörer ja offensichtlich abgenommen hat?).
Eine weitere Lektion für mich: Wer die gleiche Sprache spricht, spricht nicht immer die gleiche Sprache. So wurde ich neulich von einem Lokalpolitiker darum gebeten, den Satz «der Gemeinderat will» in «der Gemeinderat möchte» umzuformulieren. «Wollen» klinge in Schweizer Ohren zu herrisch. Obwohl die Verben für mich in den meisten Kontexten gleichbedeutend sind, nutze ich jetzt nur noch «möchte». Denn ich weiss: Wie eine Botschaft rüberkommt, entscheidet nicht die Senderin, sondern der Empfänger.
Doch bei allem Verständnis für die höfliche Zurückhaltung der Eidgenossen – manchmal ist es einfach zu viel des Guten. Wenn ich mit den Worten «das wären drei Franken, wenn ihr so gut sein wollt» zur Kasse gebeten werde, möchte ich am liebsten antworten: «Nein, will ich eigentlich nicht.» Da jedoch auch Humor Ansichtssache ist, verkneife ich mir den Spruch jedes Mal.
Ich plädiere ja dafür, Höflichkeit gut dosiert einzusetzen. Sonst nutzt sie sich schnell ab – auch sprachlich. Mails werden heute schon mit «herzlichsten» oder «liebsten» Grüssen unterschrieben. Doch bei solchem Steigerungswahn ist das Ende der Fahnenstange schnell erreicht. Wer nur noch «herzlich» grüsst, scheint den Empfänger nicht besonders zu mögen. Und wenn es der Bekannten nur «gut» und nicht «bestens» geht, sollte man wohl besser den Arzt rufen. Oder ist das jetzt wieder «zu deutsch» gedacht?
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH
Die Autorin kennt übrigens keinen einzigen Deutschen, der so etwas sagt wie: «Ich krieg zwei Brötchen!»