«Solidarisches Helfen steht für mich im Zentrum des Glaubens»
10.12.2021 GesellschaftWeshalb wird eine junge Frau Pfarrerin der reformierten bernischen Landeskirche? Was denkt sie über die Glaubensgemeinschaften im Frutigland? Soll sich die Kirche in die Politik einmischen? Isabelle Knobel antwortet besonnen und für ihr jugendliches Alter ungewohnt reif. ...
Weshalb wird eine junge Frau Pfarrerin der reformierten bernischen Landeskirche? Was denkt sie über die Glaubensgemeinschaften im Frutigland? Soll sich die Kirche in die Politik einmischen? Isabelle Knobel antwortet besonnen und für ihr jugendliches Alter ungewohnt reif.
PETER SCHIBLI
Geboren und aufgewachsen ist die Frutigländerin in Kandergrund zusammen mit einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester. Dort ging sie in die Primarschule, was ihr nicht immer leicht fiel. Die Zeit in der Oberstufe in Frutigen war dann einfacher. Aus dieser Zeit stammt bis heute der Freundinnen- und Bekanntenkreis der 26-Jährigen.
Zusammen mit der Familie ging Isabelle Knobel als Kind ab und zu in den Gottesdienst, nicht jeden Sonntag, aber immer am Weihnachtstag. Die Stimmung in der Kirche, der Kirchraum, das Fremde faszinierten sie. Zu einem Schlüsselerlebnis wurde das Konfirmationsjahr: Dank der damaligen Pfarrerin der Kirchgemeinde Kandergrund-Kandersteg, Melanie Pollmeier, fand Isabelle Knobel Gefallen an biblischen Texten und religiösen Themen. Am Konfirmationsgottesdienst durfte sie über das Thema «Freiheit» reden. Von der Pfarrerin wurde sie darauf gefragt: «Möchtest du nicht Theologie studieren?» Doch die junge Gymnasiastin hatte vorerst andere Wunschfächer im Kopf.
Sie zog ein Studium der Germanistik in Betracht, dann auch Geschichte und Philosophie. Und schliesslich spielte die junge Frau sogar mit dem Gedanken, die Pädagogische Hochschule (PHS) zu absolvieren und Lehrerin zu werden. Doch all diese Fachrichtungen schienen ihr eindimensional. «Theologie umfasst alles, ist viel breiter», erzählt die Kandertalerin bei einem Kaffee und lässt dazu ihre Hände sprechen. Isabelle Knobel wirkt aufgestellt, witzig, stets überlegt und zeigt im Gespräch mit dem Medienmann überhaupt keine Scheu.
Während des Studiums nahm sie Sprechunterricht und profitierte von einem «Präsenz-Coaching». Während einem neunmonatigen Praktikum bei den Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn sammelte sie Erfahrungen in der Entwicklungszusammenarbeit und Ökumene.
Ihr Studium schloss sie mit einem vierzehnmonatigen Vikariat (praktische Ausbildungsphase) in der Heiliggeist-Kirche in Bern ab. Die dortige Pfarrerin, Andrea Kindler Broder, beeindruckte sie sehr. Noch zögerte sie aber, Pfarrerin zu ihrem Hauptberuf zu machen. Doch dann kam die Anfrage einer Kollegin, ob sie sich ein Job-Sharing in der Kirchgemeinde Walkringen vorstellen könne. Isabelle Knobel sagte zu und hat in der Emmentaler Gemeinde seit dem 1. November ein 20-Prozent-Pensum. Ende Oktober fand die Ordination im Berner Münster statt.
«Diakonie und Macht» als Thema der Doktorarbeit
Hauptberuflich ist sie an der Universität Bern geblieben, wo sie eine Dissertation zum Thema «Diakonie und Macht» schreibt. «Der Dienst an Menschen, die Unterstützung brauchen, das solidarische Handeln steht für mich im Zentrum des Glaubens», erklärt die junge Frau die Wahl ihres Themas.
So pendelt sie derzeit zwischen Kandergrund, Bern und Walkringen hin und her. An ihrem neuen Wirkungsort verfügt sie über ein Büro und eine einfache Schlafgelegenheit. Hauptwohnsitz aber ist das Bergdorf im Kandertal geblieben, wo sie in einem historischen Holzhaus wohnt, dessen alter Teil die Jahrzahl 1829 trägt. Dort hat sie sich mit ihrem Lebenspartner und einer Katze in einer modernen Wohnung heimelig eingerichtet.
Mit den Bergen verbunden bleibt Isabelle Knobel auch durch ihr wichtigstes Hobby, das Gleitschirmfliegen. Bei schönem Wetter hebt sie von der Mäggissere, vom Niesen, vom Grimer oder im Winter vom Tschenten ob Adelboden ab. Frische Luft schnuppern, die Sonne spüren, die Welt aus Distanz von oben sehen, gehört auch zur Arbeit einer Pfarrerin. Daneben spielt sie in Frutigen Volley- und Beachvolleyball und seit einem Jahr Gitarre. Ihr Erstinstrument war das Klavier, das zu Hause vor allem von ihrem Lebenspartner benutzt wird. Dessen Musik, Old Jazz, Swing, Blues und Rock, mag die Pfarrerin sehr. Selbstverständlich hört sie ab und zu auch klassische Musik von Bach bis Vivaldi.
Neben und mit Glaubensgemeinschaften
Und was denkt die frisch ausgebildete Pfarrerin über die zahlreichen Mitmenschen im Tal, die nicht der reformierten Amtskirche, sondern einer anderen christlichen Glaubensgemeinschaft angehören? Mit den Unterschieden wurde sie bereits in der Oberstufe in Frutigen konfrontiert, als sie mit Jugendlichen aus entsprechenden Familien die Schulbank drückte. Wegen deren konservativer Haltung war Isabelle kritisch zu solchen Gruppierungen eingestellt. «Ich hatte Mühe mit der häufig wörtlichen Auslegung der Bibel und mit dem Gottesbild der Freikirchen, das mir persönlich als zu eng vorkam.»
In der Zwischenzeit hat sich die Theologin eine differenziertere Betrachtung zu eigen gemacht. Das Gespräch zu suchen, sei nicht schlecht, meint sie und ergänzt: «Was zählt, ist das Zwischenmenschliche, und auch in den Freikirchen gibt es Bewegungen nach vorne.» Gemeinsame Gottesdienste sind für sie, die sich Inklusion auf die Fahne geschrieben hat, eine Möglichkeit, sich zu begegnen. «Wir müssen sowohl zusammen als auch getrennt gehen können und das Gemeinsame wie das Trennende respektieren.»
Isabelle Knobel liebt die Textexegese und stellt dabei die Bibel in ihren zeitgeschichtlichen und in einen aktuellen Kontext. «Die zeitgeschichtliche Einbettung erlaubt Textinterpretationen über das wörtliche Verstehen hinaus» – bei manchen Freikirchen scheint ihr das teilweise zu kurz zu kommen.
Miteinander über Corona-Konsequenzen reden
Inklusion ist ihre Antwort auch, wenn sie nach ihrer Meinung zur Corona-Krise gefragt wird. Isabelle Knobel hat Mühe, wenn sich Menschen wegen ihrer unterschiedlichen Auffassungen nur noch anschnauzen und nicht mehr ernsthaft miteinander reden. Sie versteht die Ängste, den Frust sowohl der Massnahmengegner als auch der Impfbefürworter. «Alle sind sie Menschen, die man aufgrund ihrer unterschiedlichen Meinungen nicht einfach schubladisieren darf», sagt sie.
Engagement für die «eigenen» Themen
Sollte sich die Landeskirche in die Politik einmischen, wie sie es im Abstimmungskampf um die Konzernverantwortungs-Initiative getan hat? «Ja, unbedingt, aber nicht bei jedem Thema oder zu jeder Abstimmung», findet Knobel. Zu Menschenrechtsverletzungen, Fürsorge- und Sozialhilfefragen müsse sich die offizielle Kirche äussern, denn diese Punkte beträfen ihre Kernkompetenz, den Menschen. Bei anderen Themen sei Zurückhaltung gefragt.
Mit alten Klischees aufräumen
Die Medien haben für die frisch gebackene Pfarrerin einen Bildungsauftrag, zu denen auch religiöse Fragen gehören. Deshalb schätzt sie es, regelmässig Berichte über kirchliche Projekte, Aktionen oder Veranstaltungen in ihrer Lokalzeitung zu lesen. «Nicht nur Pfarrerwahlen oder kirchliche Festakte, sondern auch Anlässe, die ausserhalb des Kirchenraums stattfinden, müssen in der Zeitung Platz haben.» Das altertümliche Bild vom Pfarrer mit Hornbrille, abgelichtet zwischen Taufstein und leeren Kirchenbänken, gehört für die junge Frutigländerin der Vergangenheit an. Mit diesem Klischee sollten die Medien endlich aufräumen. Die Kirche sei mehr als Predigt, Orgelspiel und Gebet.
In der Tat: Heute studieren im Kanton Bern deutlich mehr Frauen als früher Theologie und wagen den Schritt in eine Kirchgemeinde. Es scheint eine neue Generation von modernen Pfarrerinnen und Pfarrern heranzuwachsen. Isabelle Knobel aus Kandergrund ist dafür ein leuchtendes Beispiel.