«Wir können Fleisch konkurrenzieren, machen aber keinen Fleischersatz»
14.12.2021 FrutigenIm Lebensmittelmarkt bewirtschaften sie eine Nische – und sind ziemlich erfolgreich damit. Samuel Klopfenstein stellt Tofu her, Juval Kürzi macht aus Rüebli «Lachs». Obwohl ihre Firmen sehr verschieden sind, verbindet die beiden eine Menge.
BIANCA HÜSING
Fleischlose Ernährung ist im Aufwind. Binnen eines Jahres hat sich die Zahl der Veganer in der Schweiz und Liechtenstein verdoppelt, auch Vegetarier werden kontinuierlich mehr. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung ist mit 0,6 respektive 4,1 Prozent zwar noch immer gering. Doch auch Fleischesser scheinen sich zunehmend für Alternativen aus Soja, Erbsenproteinen oder Pilz (Quorn) zu interessieren. Laut der MACH-Konsumentenumfrage 2021 greift mehr als die Hälfte der Bevölkerung zu sogenannten Fleischersatzprodukten. Dies spiegelt sich auch in den Umsätzen der Detailhändler wider: 117 Millionen Franken wurden 2020 mit Fleischersatzprodukten umgesetzt – 52 Prozent mehr als im Vorjahr und sogar 95 Prozent mehr als 2016.
Obgleich im Tal kein besonders grosses Kundenpotenzial für diese Branche vorhanden sein dürfte, haben sich in Frutigen gleich zwei Fleischersatzproduzenten niedergelassen – auch wenn sie sich selbst nie so bezeichnen würden. Samuel Klopfenstein und Juval Kürzi stellen völlig unterschiedliche Lebensmittel her und bespielen verschiedene Märkte. Trotzdem lässt sich die Geschichte des einen kaum ohne den anderen erzählen, weshalb der «Frutigländer» beide an einen Tisch gebeten hat.
Vom «Hippie-Frass» zum etablierten Lebensmittel
Samuel Klopfenstein ist fast schon ein «alter Hase» im noch relativ jungen Tofu-Business. Seit 2012 arbeitet er bei der Futur Naturprodukte GmbH, 2017 übernahm er die Leitung des Betriebs. Angefangen hat er als klassischer Quereinsteiger. «Ich bin gelernter Zimmermann und habe jahrelang als Plattenleger gearbeitet, bis ich mich nach einem Skiunfall neu orientieren musste.» Über seinen Bruder, der damals schon dort arbeitete, ist der Frutiger zu Futur Naturprodukte gekommen. Nach einem Praktikum in der Produktionsanlage liess er sich zum Milchtechnologen ausbilden – «weil sich Käse und Tofu in der Herstellung stark ähneln», erläutert er. Damit ist der Bauernsohn quasi zu seinen familiären Wurzeln zurückgekehrt: der Lebensmittelproduktion.
Die Geschichte der Tofu-Fabrik geht bis ins Jahr 1992 zurück, als sich ein Berner in die ehemalige Metzgerei in der Oberen Bahnhofstrasse einmietete, um «Berner Tofu» zu produzieren. Als Geschäftsleiter setzte er den einheimischen Käser Beat Schmid ein, der den Betrieb ab 1998 unter dem Namen Futur Naturprodukte allein weiterführte. «Zu dieser Zeit wurde Tofu noch als ‹Hippie-Frass› verspottet. Die wenigsten wussten, was das überhaupt ist. Heute gehört das Produkt eigentlich in jede moderne Küche», ist Klopfenstein überzeugt. Als er selbst in die Branche einstieg, konnte er schon auf einem bewährten Produkt aufbauen.
Nächtliche Experimente im Räucherkeller
Anders Juval Kürzi. Sein «Rüebli-Lax» ist erst letztes Jahr auf den Markt gekommen und hat diesen praktisch im Sturm erobert. Die Erfolgsgeschichte des Tessiners, der seit sieben Jahren im Kiental lebt, begann in Samuel Klopfensteins Räucherkammer. Während einer Führung durch die Tofu-Fabrik schoss der studierte Grafikdesigner Fotos, die er dem Unternehmen später anbot. «Bei der Gelegenheit habe ich gleich gefragt, ob sie zufällig einen Grafiker brauchen», so Kürzi, «und sie haben zugesagt». Parallel zu seinem Job bei Futur Naturprodukte startete der Hobbykoch ein veganes Catering und kam spontan auf die Idee, «Lachs» aus Karotten herzustellen. Klopfenstein witterte direkt Potenzial und stellte ihm zum Experimentieren den Räucherofen der Tofu-Fabrik zur Verfügung. «Ich hatte keine Ahnung, wie man räuchert und habe einfach mal ein paar Rüebli reingelegt», erzählt Kürzi lachend. «Nie werde ich den Moment vergessen, als ich mit den Karotten zu Samuel ging und sie probierte. Wir waren beide auf Anhieb begeistert und meinten: ‹Wow, warum gibts sowas noch nicht?›»
Eine Tonne Karotten pro Woche
Bis zum «Finetuning» des Produkts und zur Gründung der Wild Foods GmbH sollten noch ein paar Monate ins Land gehen – und viele Nächte im Räucherkeller. «Ich habe Juval immer wieder eingeschärft: ‹Du musst morgens früher kommen! Sonst hab ich den Rauch nachher im ganzen Geschäft›», erinnert sich Klopfenstein schmunzelnd. «Irgendwann habe ich dann in meinem Campervan übernachtet, um direkt um 3 Uhr loslegen zu können», lacht Kürzi. Anfangs verkaufte er rund 100 Päckli pro Monat. Mehr hätte er damals auch noch gar nicht herstellen können. Als Coop dann im Rahmen einer Messe auf sein Produkt aufmerksam wurde, musste sich der Hobbykoch ins Zeug legen. Er wusste: «Wenn wir uns jetzt nicht beeilen, ist der Rüebli-Lax schnell kopiert und wir sind raus.» Also habe er fünf Monate praktisch durchgearbeitet – mittlerweile in der eigenen «Fabrik» im ehemaligen Hotel Rustica.
Heute gibt es sein Produkt in über 350 Coop-Filialen zu kaufen, pro Woche verarbeiten Kürzi und sein zwölfköpfiges Team eine Tonne Karotten. «Ich glaube immer noch nicht, dass das echt ist, was da gerade passiert», sagt er. Sein «Mentor» Klopfenstein entgegnet: «Mir war sofort klar, dass das ein Erfolg wird. Du kamst genau zur rechten Zeit, da viel über die Überfischung der Meere und die Belastung der Fische mit Schwermetallen geredet wurde.»
«Viele versuchen zu stark, Fleisch zu imitieren»
Auch wenn es so klingt: Den Lebensmittelmarkt revolutionieren wollen weder Klopfenstein noch Kürzi. Klopfenstein, der sich selbst als «Allesesser» bezeichnet, betont: «Wir können Fleisch zwar konkurrenzieren, machen aber keinen Fleischersatz. Tofu ist einfach ein vielseitiges Produkt, mit dem man alles machen kann. Ich habe auch Metzger unter meinen Stammkunden.» Kürzi stimmt seinem Kollegen zu. Er selbst lebt vegan, will aber nicht in die Ersatzprodukte-Schiene gedrängt werden. «Es sind Karotten, und die dürfen auch nach Karotten schmecken. Wenn jemand wegen unseres Produkts seltener zum echten Lachs greift: umso besser.» Kürzi hofft allerdings auf ein generelles Umdenken in der Branche. «Viele dieser Alternativlebensmittel sind sehr künstlich und versuchen zu stark, Fleisch zu imitieren. Dabei geht oft vergessen, dass ein Lebensmittel einfach mal nur gut schmecken darf.»
Samuel Klopfenstein, der wie Kürzi sämtliche Rohstoffe aus der Schweiz bezieht, hebt vor allem den Umweltaspekt hervor. «Man muss nicht alles um die halbe Welt karren. Ob nun vegetarisch oder nicht: Dieser Ansatz müsste im Markt stärker verfolgt werden.» Die Regionalität seiner Produkte sei auch ein Grund, warum der Tofu-Produzent von seinem landwirtschaftlichen Umfeld akzeptiert werde. «Ich kaufe mein Soja bei Schweizer Bauern, also bei Berufskollegen meiner Eltern.»
Zwischen Zufriedenheit und Wachstumsdruck
Was die Zukunft betrifft, gehen die beiden Frutiger Firmen sehr unterschiedliche Wege. Klopfenstein will bei seiner fixen Produktpalette bleiben – und bei seinem bisherigen Absatzmarkt. Anders als Kürzi beliefert er keine grossen Detailhändler, sondern vor allem Bioläden und Restaurants. «Wir können sehr gut leben von dem, was wir tun. Sicherlich wird die Nachfrage weiter steigen, aber irgendwann wäre vielleicht der Punkt erreicht, an dem unsere Räumlichkeiten zu klein würden und wir etwas ändern müssten.» Und ändern will Klopfenstein eigentlich nichts. «Würden wir in den Grosshandel einsteigen, müssten wir ein Millionenprojekt auf die Beine stellen und wären grossem Druck ausgesetzt, auch preislich. Davon abgesehen haben Coop und Migros längst ihren eigenen Tofu.» Lieber bleibt der Frutiger bei seinen Stammkunden, die er zweimal wöchentlich auf Bestellung beliefert.
Die Wild Foods GmbH muss dagegen wachsen, und zwar notgedrungen. Weil der Mietvertrag mit dem «Rustica» ausläuft und die Kapazitäten ohnehin langsam an ihre Grenzen kommen, zieht die Firma demnächst nach Uetendorf in eine 1000 Quadratmeter grosse Halle. Dort will Kürzi unter anderem an neuen Produkten arbeiten. «Irgendwann ist der Markt gesättigt und du hast zwei Optionen: entweder mehr Produkte oder Export.» Export passe zwar eigentlich nicht zur regionalen Denke des Betriebs. Weil aber die Nachfrage vorhanden sei, könne man eventuell eigenständige Produktionen im EU-Raum aufbauen. «Wenn wir ein zweites oder drittes Produkt in der Schweiz etablieren können, brauchen wir das nicht», sagt Kürzi. Doch auf die eine oder andere Weise werde er seine Firma weiterentwickeln müssen.
Steckbrief Wild Foods
• Firmensitz: Zurzeit noch an der Spiezstrasse 12 in Frutigen. Ab Februar oder März in Uetendorf.
• Geschäftsführer: Juval Kürzi (siehe Foto)
• Produkt: «Rüebli-Lax» (besteht aus geräucherten Karotten, Öl und Salz)
• Gründungsjahr: 2020
• Absatzmenge nicht bekannt. Rohstoffmenge: 1 Tonne Rüebli pro Woche
• Absatzmarkt: Grosshandel und Bioläden
• Nachfrage: saisonal schwankend – besonders stark an Weihnachten und Ostern, im Sommer etwas schwächer
• MitarbeiterInnen: 12
HÜS
Weitere Informationen erhalten Sie unter: www.frutiglaender.ch/web-links.html
Steckbrief Futur Naturprodukte
• Firmensitz: Obere Bahnhofstrasse 6 in Frutigen
• Geschäftsführer: Samuel Klopfenstein (seit 2017, siehe Foto)
• Produkte: Tofu (70 Prozent des Umsatzes), Seitan, Tempeh und Burger-Pattys
• Gründungsjahr: 1998
• Absatzmenge: ungefähr 6000 bis 7000 Kilogramm pro Monat
• Absatzmarkt: vor allem Bioläden und Restaurants
• Nachfrage: kontinuierlich mit Peak im Januar (Klopfenstein mutmasst, dass es mit Neujahrsvorsätzen und der schweizweiten Kampagne «Veganuary» zusammenhängt)
• MitarbeiterInnen: 8
HÜS
Weitere Informationen erhalten Sie unter: www.frutiglaender.ch/web-links.html