69 Sekunden mit den Profis
17.12.2021 SportEISHOCKEY Seine ersten Schritte hat Roman Trachsel beim EHC Kandersteg gemacht. Mittlerweile spielt er seit über sechs Jahren bei den «Young Tigers» in Langnau – und hatte neulich sogar einen kurzen NLA-Einsatz.
BIANCA HÜSING
Dass Roman Trachsel früh ...
EISHOCKEY Seine ersten Schritte hat Roman Trachsel beim EHC Kandersteg gemacht. Mittlerweile spielt er seit über sechs Jahren bei den «Young Tigers» in Langnau – und hatte neulich sogar einen kurzen NLA-Einsatz.
BIANCA HÜSING
Dass Roman Trachsel früh selbstständig geworden ist, merkt man ihm spätestens nach fünf Minuten an. Locker, aufgestellt und beinahe druckreif erzählt der 19-Jährige aus seinem Hockeyleben – keine Spur von Zaudern oder Schüchternheit. Nicht ganz so einfach wie das Gespräch mit ihm war es, überhaupt einen Termin dafür zu finden. Wenn er nicht arbeitet oder zur Schule geht, hat er Training oder spielt an einem Match der «Young Tigers». Wirklich frei hat er höchstens einmal die Woche. Der Frutiger absolviert zurzeit seine zweite Lehre und ist «nebenbei» auf dem besten Wege, Profisportler zu werden.
Ein unverhofftes Aufgebot
Am 4. Dezember stand der U20-Elitespieler des SCL erstmals mit den Nationalligisten auf dem Eis. Weil den «Tigers» krankheitsbedingt gleich drei Verteidiger fehlten, ist Trachsel fürs Heimspiel gegen Zug nachgerückt. «Ich wurde mittags angerufen, ob ich am Abend spielen will und habe natürlich sofort zugesagt. Danach war ich den ganzen Nachmittag extrem nervös, die Zeit wollte einfach nicht rumgehen», erzählt er lachend. Sich mit den Hockeygrössen aufzuwärmen, während nach und nach die Fans ins Stadion strömten, sei überaus speziell gewesen. Und dann erst die unverhoffte Einwechslung: Kurz vor Schluss kam der Frutiger noch zum Zuge, für genau 69 Sekunden. «Ich habe immerhin den Puck berührt, aber grosse Spielzüge waren natürlich nicht mehr möglich.» So kurz dieser Einsatz auch war – für Roman Trachsel bleibt es ein unvergessliches Erlebnis, vor 5000 Zuschauern eingelaufen zu sein. Viel Zeit, sich zu beweisen, hatte er zwar nicht. Gleichwohl könnte dies ein wichtiger Tag für seine Karriere gewesen sein. Vielleicht ist ein Nati-B-Coach auf ihn aufmerksam geworden und schaut demnächst bei einem Match der «Young Tigers» zu ...
Ein Schnuppertraininig für den Bruder
Dass er einmal so selbstverständlich in der Ilfishalle ein- und ausgehen würde, konnten Roman Trachsel und seine Eltern schwerlich ahnen. Eigentlich war es sein grosser Bruder, der Eishockey spielen sollte. «Weil er noch kein Hobby hatte, schlugen unsere Eltern ihm vor, mal bei einem Schnuppertraining in Adelboden mitzumachen», erinnert sich Trachsel. Alleine habe er sich jedoch nicht getraut, also seien der damals fünfjährige Roman und sein Cousin mitgegangen. «Ich war am Ende der einzige von uns dreien, der total begeistert war und weitermachen wollte!» Statt in Adelboden ist er allerdings beim EHC Kandersteg gelandet – zunächst aus praktischen Gründen. Einerseits habe es damals eine Fahrgemeinschaft mit mehreren Frutigern gegeben, andererseits ist Kandersteg auch mit der Bahn erreichbar. «Meine Mutter war berufstätig und wollte verständlicherweise nicht so oft fahren. Wenn sie gewusst hätte, was später noch auf sie zukommen würde ...»
Mit 15 in eine Spieler-WG gezogen
Fahren musste Silvia Trachsel tatsächlich sehr viel, seit der Anruf aus Langnau kam. Nachdem ihr Sohn es in die kantonale U13-Auswahl geschafft hatte, wurde auch der SCL auf den talentierten Oberländer aufmerksam und lud ihn zum Probetraining ein. Seither spielt er bei den Elite-Junioren des Klubs. «Anfangs war das natürlich mit einem grossen Aufwand verbunden», weiss Roman Trachsel. Von Frutigen nach Langnau fährt man eine Stunde mit dem Auto oder anderthalb Stunden mit dem Zug. Mehrmals die Woche musste er pendeln, denn für die Alternative wäre er noch nicht bereit gewesen: die Schule zu wechseln und bei einer Gastfamilie in Langnau zu wohnen. Stattdessen war er auf die Unterstützung seiner Eltern angewiesen – und auf die der Oberstufenschule Frutigen. Als Partnerschule des BOSV bietet die OSS unter anderem Nachhilfestunden für angehende Skiprofis, die wegen ihrer vielen Trainings öfter den Regelunterricht verpassen. «Der FC-Thun-Spieler Erik Wyssen und ich konnten als ‹Exoten› ebenfalls von diesem Angebot profitieren», so Trachsel.
Trotzdem ist er letztlich ziemlich früh ausgezogen. Seit seinem 15. Lebensjahr wohnt er in einer Spieler-WG direkt neben dem Langnauer Stadion. Zunächst wurden die vier noch durch eine Gastmutter betreut, mittlerweile leben sie allein. «In den ersten Jahren hatte ich noch grosse Mühe und bin so oft ich konnte nach Frutigen gefahren.» Hart sei besonders die Doppelbelastung während seiner Ausbildung zum Sanitärinstallateur gewesen. «Morgens früh auf den Bau, abends Training und direkt wieder ins Bett – es war schon streng.» In den ersten Monaten habe er mehrmals ans Aufgeben gedacht. Doch die Freude am Hockey und die Dankbarkeit für den Support seiner Eltern hätten ihn motiviert, weiterzumachen. «Ich weiss, dass meine Eltern Verständnis gehabt und mich weiter unterstützt hätten, wenn ich hingeschmissen hätte. Aber der Leistungsdruck ist ja trotzdem irgendwie da, den macht man sich halt selbst.» Letztlich ist Trachsel stolz, es durchgezogen zu haben. Um beruflich etwas flexibler zu sein und im Büro arbeiten zu können, hat er noch eine Lehre zum Sanitärplaner drangehängt. Nächsten Sommer stehen also wieder Abschlussprüfungen an.
Das letzte Jahr auf Juniorenebene
Viele junge SportlerInnen träumen davon, ihr Hobby zum Beruf zu machen. Für die wenigsten wird dieser Traum wahr. Roman Trachsel ist zwar nah dran. Doch so weit, dass er vom Eishockey leben könnte, ist er noch lange nicht. Die Entschädigungen reichen gerade, um den jährlichen Mitgliedsbeitrag zu decken. «Ob man es wirklich schafft, weiss man bis zum Schluss nicht», meint der Innenverteidiger. Er selbst spielt jetzt seine letzte Saison auf Juniorenebene und muss danach in ein Herrenteam wechseln. «Natürlich hoffe ich, in meinem Klub bleiben zu können und wie mein Vorbild Miro Zryd als Oberländer in der Nationalliga zu spielen.» Sollte dies nicht auf Anhieb klappen, sähe Trachsel darin aber nicht unbedingt einen Rückschlag. «Als Spieler wirst du nur besser, wenn du auch wirklich spielst und nicht auf der Bank sitzt. In dem Fall geht man lieber einen Schritt zurück, damit man später wieder zwei Schritte nach vorne machen kann.» Eine Option wäre zum Beispiel Hockey Huttwil. Für den Klub hat er schon mehrere Matches in der MySports-League, der höchsten Amateurklasse, bestritten.
Eines Tages wieder beim EHCK?
Wo auch immer ihn die Reise hinführt: Roman Trachsel wird auf ewig Kandersteg-Fan bleiben. Mindestens einmal im Jahr schaut er bei einem Match der Zweitligisten zu und plaudert mit ehemaligen Trainern und Mitspielern. Viele gratulierten ihm, als sie von seinem NLA-Einsatz erfuhren. Der EHCK thematisierte diesen sogar in seinem Newsletter. «Aus den eigenen Reihen ein Nati-A-Spieler! Bravo, Roman Trachsel!», heisst es in dem klubinternen Rundbrief. «Im Jubiläumsjahr schreibt er hiermit Klubgeschichte und ist, nach Walter Lüscher in den 60er-Jahren, erst der zweite Kandersteger Nachwuchsspieler, der den Sprung in die höchste Liga der Schweiz schafft. Wir sind mächtig stolz!»
Sieben Jahre hat Trachsel beim EHCK gespielt. «Hier habe ich meine ersten Schritte gemacht und hatte eine wirklich tolle Zeit. Ich habe dem Klub sehr viel zu verdanken.» Eines Tages möchte er wieder zu seinen Wurzeln zurückkehren – wenn man ihn lässt. «Ich hoffe sehr, dass ich am Ende meiner aktiven Karriere für die erste Mannschaft des EHCK spielen darf!»