Aufschlussreicher Tunnelblick
07.12.2021 Kandergrund, Blausee, MitholzREPORTAGE Nach der achtmonatigen Zwangspause aufgrund von Covid-19 ist das Interesse an Besichtigungen des Lötschberg-Basistunnels gross. Der «Frutigländer» hat sich kürzlich an einer öffentlichen Führung in die Geheimnisse zwischen Frutigen und Visp einweihen lassen.
REPORTAGE Nach der achtmonatigen Zwangspause aufgrund von Covid-19 ist das Interesse an Besichtigungen des Lötschberg-Basistunnels gross. Der «Frutigländer» hat sich kürzlich an einer öffentlichen Führung in die Geheimnisse zwischen Frutigen und Visp einweihen lassen. GALERIE KATHARINA WITTWER Im Normalbetrieb fahren täglich 110 Züge durch den Basistunnel, 60 über die Bergstrecke. Hinzu kommen die Motorfahrzeuge, die mit dem Autozug durch den oberen Tunnel transportiert werden. Nur kurz erwähnt Kyburz, dass im Basistunnel seinerzeit nicht beide Röhren ausgebrochen, beziehungsweise 14 km der Strecke im Rohbau gelassen wurden. Vieles wäre einfacher, wenn man den Berg zweispurig befahren könnte. Doch heute wolle man nicht politisieren. Die vorgesehenen drei Stunden sind eh schon knapp bemessen für die zahlreichen Erklärungen zu Sicherheit, Lüftung, Stromversorgung, Rettungskonzept, Nothaltestelle Ferden oder zur ständigen Bereitschaft von zehn Postautos und gut hundert speziell ausgebildeten Chauffeuren im Oberwallis für Rettungseinsätze. Die Fahrt von Visp nach Spiez dauert 26 Minuten, davon 11 Minuten im Dunkeln. Augenzwinkernd fügt Madeleine Kyburz an, dass das aufstrebende Dorf auf der anderen Seite neuerdings mit «Visp am See» werbe. Die breiteste Treppe Europas Beim Nordportal in Frutigen mit der breitesten Treppe Europas gibt es einen ersten Halt. Falls ein Personenzug im nördlichsten Teil eine Panne hätte, würde der Lokführer versuchen, hierher zu fahren, damit sich die Passagiere selbstständig über diese Treppe in Sicherheit bringen können. Im fensterlosen Flachdachgebäude direkt daneben befindet sich die Vorortleitstelle (VOLS). Hier sind Arbeitsplätze eingerichtet, die aber nur in einem Notfall durch ausgebildetes Personal besetzt werden. Auf welcher Seite ist Frutigen? Der Zugangsstollen weist ein Gefälle von 12 Prozent auf. Während des Baus waren hier Förderbänder installiert. Gleichzeitig war er Zufahrtsstrasse für Lastwagen und für den Transport von Arbeitern. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt 60 km/h. Etwa 3000 Verkehrsschilder sind im Berg angebracht. Wir überqueren beide Röhren und parkieren nach 1,5 km Fahrt 1200 Meter unterhalb des Golitschenpasses. Davon bemerke ich nichts. Wir Besucher haben die Orientierung verloren und «vertauschen» sogar Nord und Süd. Ab hier geht es zu Fuss weiter. Für Besucher ist nur ein kleiner Teil der Weströhre zugänglich, die sich nach wie vor im Rohbau befindet. Hier ist auch das Besucherzentrum eingerichtet. Somit bewegen wir uns nur «auf kleinem Raum» in diesem riesigen Bauwerk. Immenses Wissen nach mehreren Hundert Führungen In einer der 12 Technikzentralen waren während des Baus das Betonwerk und die Werkstatt für die Baumaschinen und LKWs untergebracht. Verglichen mit dem Sicherungskasten in einem Einfamilienhaus ist hier drin die Anzahl und Grösse um einiges eindrücklicher. Bei 1600 km Stromkabel und 1400 Schaltschränken haben Elektrotechniker fast ständig Arbeit. Wir gucken in die falsche Richtung Der Helm verursacht mir Kopfschmerzen und ich bin müde von den vielen Eindrücken in der ungewohnten Umgebung. Madeleine Kyburz jedoch scheint noch fit zu sein, denn während der Fahrt zurück nach Frutigen erzählt sie munter, dass die Feuerwehren, die wir zwischen den Schleusentoren gekreuzt haben, nur zu Ausbildungszwecken in den Tunnel gefahren seien.
13.30 Uhr: Madeleine Kyburz begrüsst zehn Personen im historischen Bahnhof Frutigen. Am detailgetreuen Modell im Massstab 1:7500 nennt sie den Grund, weshalb der Tunnel Richtung Norden ein Gefälle von 3 Promille und Richtung Süden von 10 bis 13 Promille aufweist: Wasser. Das teilweise warme und mehr oder weniger verschmutzte Nass ist ein allgegenwärtiges und ab und zu problembehaftetes Element im Berginnern und muss beidseitig abgeleitet werden.
Nach 45 Minuten kurzweiliger Einführung ziehen wir eine Leuchtweste an, fassen einen Helm und eine Flasche Wasser und steigen in den Kleinbus. Heute begleiten uns zwei pensionierte Herren, es sind «Lernende». Sie hoffen, von der erfahrenen Frau, die schon seit 13 Jahren Tunnelführungen macht, das eine oder andere «mitnehmen» zu können. Bevor wir losfahren, gibt unsere Besucherführerin dem Operator Technik Betrieb (OTB) in Spiez die Personenzahl und ihre Telefonnummer bekannt. Dort müssen die diensthabendenden Angestellten stets informiert sein, wie viele Personen sich weshalb und wo im Tunnel befinden.
Um zum Zugangsstollen zu gelangen, fahren wir über das Areal des Steinbruchs in Mitholz. Vor dem Einfahrtstor ist eine der insgesamt 136 Videokameras montiert. Das Tor öffnet sich erst nach Anmeldung. Wir passieren die Lüftungszentrale. Weil hier Arbeiter beschäftigt sind, erhaschen wir einen Blick zum Ventilator, der pro Sekunde 80 Kubikmeter Frischluft in den Rohbautunnel bläst, der auch als Rettungsröhre dient. Bei Rauchentwicklung können bis zu 150 m3/sec hineingeblasen werden. Unglaubliche 46 verschiedene Lüftungsszenarien stehen zur Verfügung. Im Falle von Rauchentwicklung würde der Rauch durch den Kamin im Lötschental entweichen.
Von der Stelle, wo 1999 die erste Sprengung erfolgte, gelangen wir zu einer beeindruckenden Ausstellung im Berginnern. In der gut neun Meter hohen und sechs Meter breiten, mit Spritzbeton ausgekleideten Röhre komme ich mir ganz klein vor. Wegen der intensiven Belüftung ist es recht kühl. Anhand der Themen in den Vitrinen vernehmen wir Fakten und Zahlen zu Geologie, Tunnelbohrmaschine und bahntechnischem Ausbau. Sogar mehrere Meter 1:1-Fahrbahn, wie sie im Bahntunnel ihren Dienst leistet, wurde für die Besucher aufgebaut. Madeleine Kyburz weiss nicht, wie viele Führungen sie bereits gemacht hat. Gemessen an den Zahlen und «Müsterli», die sie auf Lager hat, müssen es mehrere Hundert sein.
Der Höhepunkt der Führung ist der Blick durchs Fenster auf einen vorbeifahrenden IC-Zug in der Oströhre. Auf «Bestellung» schaltet der zuständige Mitarbeiter, der in der BLS-Betriebszentrale in Spiez die Tunneltechnik steuert, das Licht ein. Fast ehrfürchtig schaue ich in den Fahrbahntunnel. Inzwischen habe ich nämlich eine minimale Vorstellung, wie viele Personen jahrelang in irgendeiner Form ihr Können und Wissen für eine reibungslose Durchfahrt eingesetzt haben und es nach wie vor tun. Der Beruf der Mineure ist gewiss kein Zuckerschlecken. Weil der Lokomotivführer durch die Beleuchtung irritiert werden könnte, wird es kurz vor der Zugsdurchfahrt wieder dunkel. Der Zug kommt vom Wallis her, informiert Kyburz. Prompt gucken wir alle in die falsche Richtung. Endlich sind die drei Lampen zu sehen, schnell nähert sich das Licht – und nach 7 Sekunden bei 200 km/h ist der 300 Meter lange Zug vorübergerast.




