«Leise rieselt der Schnee», heisst ein bekanntes Weihnachtslied. Ist er dann gefallen, hat man das Gefühl, die Welt sei insgesamt leiser geworden. Aber ist das tatsächlich so?
MARK POLLMEIER
Wer durch frisch gefallenen Schnee stapft, der nimmt die Welt um sich ...
«Leise rieselt der Schnee», heisst ein bekanntes Weihnachtslied. Ist er dann gefallen, hat man das Gefühl, die Welt sei insgesamt leiser geworden. Aber ist das tatsächlich so?
MARK POLLMEIER
Wer durch frisch gefallenen Schnee stapft, der nimmt die Welt um sich herum wie in Watte gepackt wahr. Ist die Luft trocken und kalt, sodass der Schnee locker und pulvrig bleibt, sind nicht einmal die eigenen Schritte zu hören. Für viele Menschen passt diese gedämpfte Akustik perfekt zur Vorweihnachtszeit, die ja – zumindest in der Theorie – ruhig und besinnlich sein soll.
Wie Stoffe in einem Wohnraum
Dass die Wochen vor Weihnachten oft gar nicht so still sind, wissen zumindest die Erwachsenen. Aber wie ist es mit dem Schnee? Macht er die Welt wirklich ein wenig leiser? Ja, macht er. Der Effekt ist physikalisch leicht zu erklären. Die lockere Konsistenz von Schnee führt dazu, dass der Schall auf weniger glatte und harte Oberflächen trifft. Deshalb werden Geräusche nicht mehr so stark reflektiert – die Schallwellen werden vom Schnee schlicht «geschluckt». Die Wirkung ist umso grösser, je mehr Hindernisse vorhanden sind. Ein winterlicher Wald mit vielen verschneiten Büschen und verzweigten Ästen ist also besonders ruhig.
Vergleichen kann man den Schnee mit Stoffen in einem Wohnraum. Gibt es Teppiche, Gardinen und textilbezogene Möbel wie etwa ein Sofa, ist die Akustik viel weniger laut und hart. In einem leeren Raum mit Platten- oder Parkettboden sind Stimmen und Geräusche dagegen fast scheppernd, bis hin zu kleinen Echoeffekten.
Selbst bei Kälte «verschwindet» Schnee
Die dämpfende Wirkung des Schnees ist umso grösser, je lockerer er ist. Nasser, kompakter Schnee reflektiert den Schall deutlich besser als Pulverschnee. Wie lange das wattige Hörgefühl anhält, ist also nicht zuletzt von den vorherrschenden Temperaturen abhängig. Liegen sie über dem Taupunkt, schmilzt der Schnee und verdichtet sich dabei – die Akustik wird «härter».
Aber selbst bei konstanter Kälte verschwindet die weisse Pracht allmählich. Dann wirkt die Sublimation, dass heisst: festes Wasser – Schnee oder Eis – geht direkt in die Gasphase über (also in Wasserdampf). Der Vorgang dauert jedoch deutlich länger als das herkömmliche Schmelzen, bei dem Schnee oder Eis zu flüssigem Wasser werden. Trotzdem: Ein bisschen Schwund ist immer, selbst wenn optimales Schneewetter herrscht.