Richtig oder falsch? Der natürliche Feind des Briefträgers
07.12.2021 GesellschaftSERIE Hunde hassen Postboten – nicht zuletzt Film und Fernsehen haben dazu beigetragen, dieses Klischee in unseren Köpfen zu verankern. Aber stimmt es auch? Gehen die vierbeinigen Bewacher von Haus und Hof tatsächlich besonders gern auf Postangestellte los?
MARK ...
SERIE Hunde hassen Postboten – nicht zuletzt Film und Fernsehen haben dazu beigetragen, dieses Klischee in unseren Köpfen zu verankern. Aber stimmt es auch? Gehen die vierbeinigen Bewacher von Haus und Hof tatsächlich besonders gern auf Postangestellte los?
MARK POLLMEIER
Um diese Frage beantworten zu können, müsste man zunächst einmal die entsprechenden Zahlen anschauen. Das jedoch ist gar nicht so einfach. Zwar weist die Schweizerische Post aus, wie viele Bisse sich ihr Aussenpersonal pro Jahr einfängt. Allerdings wird in dieser Statistik nicht unterschieden, von wem diese Bisse stammen. Auch wenn sich die meisten Zusammenstösse wohl mit Hunden ereignen, so können die Attacken auch von wildgewordenen Hähnen oder von schlecht gelaunten Katzen ausgehen. Die erfasste Zahl solcher Angriffe schwankt zwischen etwa 90 und 125 pro Jahr. Im laufenden Jahr wurden bis Ende Oktober 79 Bisse verzeichnet. Zum Vergleich: In Deutschland machen jährlich etwa 2000 bis 2500 Pöstler Bekanntschaft mit Hundezähnen.
Man kann also festhalten: Es kommt durchaus vor, dass Briefträger mit Hausund Hofhunden aneinandergeraten. Bedenkt man jedoch, wie viele Kontakte es täglich gibt, scheinen die Zahlen nicht dramatisch hoch.
Nicht erfasst werden allerdings jene Fälle, in denen Postangestellte zwar angegriffen werden, sich aber mit einem beherzten Sprint ins Auto oder hinters Gartentor retten können. Selbst wer nicht gebissen wird, hat also ein gewisses Berufsrisiko – denn angenehm sind derlei Begegnungen sicher nicht.
Schulungen zum Umgang mit Hunden
Aus Sicht der Vierbeiner ist die Skepsis gegenüber Zustellern übrigens durchaus nachvollziehbar. Postboten dringen in ihr Revier ein, und zwar nicht bloss einmal, sondern mitunter täglich. Weil die Pöstler es meist eilig haben, sind sie dabei in forschem Tempo unterwegs, und zu allem Überfluss tragen sie auch noch merkwürdige Dinge wie grosse Pakete mit sich herum. Kein Wunder also, wenn ein Hund von diesem Verhalten alarmiert ist – und dann seinen Job tun und den «Eindringling» in die Flucht schlagen will.
Dass das Verhältnis zwischen Mensch und Tier belastet ist, weiss natürlich auch die Post. Neue Mitarbeitende werden in Schulungen und Broschüren auf die potenzielle Gefahr hingewiesen, die von Hunden ausgeht – inklusive Verhaltenstipps. So sollen die Zusteller etwa hektische Bewegungen vermeiden und in heiklen Situationen nicht wegrennen, sondern ruhig stehen bleiben, um für das Tier uninteressant zu werden.
In manchen Gegenden reagieren die Pöstler auch selbst auf die tierische Bedrohung. Nachdem Kolleginnen besonders oft gebissen worden waren, organisierte eine Post-Mitarbeiterin der Zustellregion Baden aus eigener Initiative einen Hundekurs, Titel: «Umgang mit Hunden – Prävention Hundebiss». Der halbtägige Lehrgang stiess auf reges Interesse.
«Goodies» im Sack
Erfahrene Pöstler entwickeln mit der Zeit eigene Strategien, mit wild gewordenen Vierbeinern umzugehen. So vermeiden sie es etwa, Gärten zu betreten, in denen ein Hund frei herumläuft. Und sie haben für alle Fälle immer ein paar «Goodies» in der Tasche, um ungehaltene Bewacher besänftigen zu können.
Wenn alles nichts nützt, kann die Post auch zu härteren Massnahmen greifen. Haushalte mit besonders aggressiven Hunden werden dann einfach nicht mehr beliefert – die Sicherheit des Personals geht vor.
Die Biss-Vorfälle werden weniger
Fazit: Durch ihre Arbeit sind Postangestellte einer erhöhten Gefahr ausgesetzt, von Hunden gebissen zu werden. Die Zahlen, welche die Suva dazu in der Unfallstatistik ausweist, sind allerdings seit den 1990er-Jahren stark rückläufig. Ein Grund dafür mag sein, dass sich Briefkästen nicht mehr beim Haus befinden müssen. Nach den Vorgaben der Eidgenössischen Postkommission sollen sie «frei zugänglich sein und in der Regel an der Grundstücksgrenze beim allgemein benutzten Zugang zum Haus aufgestellt werden». Das hat an vielen Orten dazu geführt, dass die eiligen Postzusteller gar nicht mehr ins Revier der Hausbewacher eindringen müssen – und deswegen auch nicht mehr gejagt werden können.