DIE QUAL AM ENDE DES JAHRES
Die letzten Tage des Jahres sind meist die Zeit, in der man sein Gewissen beruhigen will – oder muss. Der Jahreswechsel ist immer eine Art Abschluss und oft auch ein Neubeginn, also lassen wir unsere «Sünden» aller Art besser hinter uns. ...
DIE QUAL AM ENDE DES JAHRES
Die letzten Tage des Jahres sind meist die Zeit, in der man sein Gewissen beruhigen will – oder muss. Der Jahreswechsel ist immer eine Art Abschluss und oft auch ein Neubeginn, also lassen wir unsere «Sünden» aller Art besser hinter uns. Eine einfache Möglichkeit dazu geben einem die zahlreichen Organisationen, die zum Spenden aufrufen. Mit einer Einzahlung am Schalter, per E-Banking oder Handy-App kann man sich so quasi erlösen.
Keine Frage: Das Geben kann helfen und ist für den Spender psychologisch eine ganz gute Sache. Doch wen berücksichtigt man mit seiner guten Tat? Die Flut an Bettelbriefen in Papierform oder per E-Mail erleichtert die Entscheidung nicht. Geradezu inflationär werden die Aufforderungen, wenn man einmal in einer Spenderkartei gelandet ist – und das, obwohl eine Adressenweitergabe normalerweise ausgeschlossen wird. Man werde «gnadenlos zugemüllt», hiess es kürzlich in der Sonntagspresse. Wer nur wenige Bettelbriefe erhält, scheint offenbar ein schlechter Spender zu sein.
Die Briefe an sich stören mich nicht. Wenn meine Motivation aber mit diversen Hochglanzflyern oder sogar mit mehr oder weniger nützlichen «Geschenken» gefördert werden soll, ist für mich eine Grenze zumindest erreicht. Der Gedanke, dass allein mit den Herstellungs- und Versandkosten viel Gutes hätte getan werden können, lässt mich nicht los. Die mit einem Zertifikat beglaubigten Hilfswerke sollten nicht mehr als 25 Prozent ihrer Mittel für die Werbung einsetzen. Das macht es aber nicht besser, denn in den allermeisten Fällen landet das Kuvert samt Inhalt im Altpapier und die zusätzlichen «Motivationsgeschenke» in meinem Mülleimer.
Dabei sind die Schweizer ja spendierfreudig, wie immer wieder bilanziert wird. Über 80 Prozent der Haushalte unterstützen irgendeine Organisation oder ein Projekt, zeigt das aktuelle Solidaritätsbarometer. Vermehrt fliessen die Spenden aber in die eigene Region statt ins Ausland. Da bin ich in guter Gesellschaft, auch für mich ist wichtig, dass ich einen Bezug dazu habe, wen oder was ich regelmässig unterstütze – ob ich so mein Gewissen beruhigen muss, lassen wir jetzt einfach mal offen …
HANS RUDOLF SCHNEIDER
H.SCHNEIDER@FRUTIGLAENDER.CH