THE YOUNG VIEW – Sofakonzerte
21.12.2021 KolumneSofakonzerte
Corona ist allmählich anstrengend. Und man fragt sich mittlerweile, ob die ganze Sache wohl jemals ein Ende haben wird, denn vor bald zwei Jahren dachten wir noch, es sei eventuell im Herbst 2020 dann mal durch. (Ebenfalls sollte ich mir eigentlich langsam mal ...
Sofakonzerte
Corona ist allmählich anstrengend. Und man fragt sich mittlerweile, ob die ganze Sache wohl jemals ein Ende haben wird, denn vor bald zwei Jahren dachten wir noch, es sei eventuell im Herbst 2020 dann mal durch. (Ebenfalls sollte ich mir eigentlich langsam mal ein neues Thema für meine Kolumnen suchen, aber da Covid-19 einfach immer noch in meinem gesamten Alltagsleben präsent ist, ergibt sich fast nichts, was nicht irgendwie mit der Pandemie zu tun hat; in diesem Sinne: vergebt mir. Vielleicht ändere ich mal meinen Titel zu «The Pandemic View».)
Deshalb machte ich mir diese Woche Gedanken zu den Vorteilen, die diese Pandemie mit sich bringt. Ausschlaggebend dafür war ein Konzert letztes Wochenende, das ich leider nicht besuchen konnte, da ich es mit den steigenden Fallzahlen nicht mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, mich mit fast 1000 Leuten ohne Maske in einen Saal zu quetschen (trotz 2G). Besonders schade war es dann auch, weil ich es absolut liebe, mit meiner Cousine an Konzerte zu gehen, gemütlich ein Bier zu trinken, etwas zu tratschen und mich dann in einer guten Band zu verlieren. Bis dann das Konzertlokal, das gute «Bierhübeli», zur Rettung kam und uns vom Auftritt einen Livestream anbot. Ich sagte zu, rechnete mit einer zweistündigen Übertragung aus genau einem Blickwinkel und etwas schlechter Tonqualität – und war dann überglücklich, als das Ganze Fernsehqualität hatte und ich die Band wohl besser und näher sah als je zuvor. Dazu sass ich noch auf unserem gemütlichen Sofa, hatte ein Glas Wein in der Hand, um das ich nicht Angst haben musste – niemand schubste mich oder stand mir im Weg und versperrte mir die Sicht, und ich musste mir ebenfalls keine Sorgen machen, dass mir plötzlich jemand ins Gesicht hustet und ich dann den Rest des Abends das Gefühl hätte, ich könne Corona geradezu riechen. Weder musste ich zuvor in der Kälte anstehen, noch brauchte ich danach eine Stunde, bis ich meinen Mantel wieder von der Garderobe retour hatte. Stattdessen konnte ich mir ein weiteres Glas Wein holen und mit unserer Katze kuscheln.
War die ganze Sache das gleiche Erlebnis wie ein Livekonzert vor Ort? Natürlich nicht. Möchte ich immer Livestreams statt des echten Konzertes? Natürlich auch nicht. Finde ich das Ganze eine tolle Abwechslung, die man auch nach der Pandemie aufrechterhalten könnte? Absolut. Die Technik ist nun installiert, sie muss nur weiter genutzt werden. Und warum eigentlich nicht? Tatsächlich würden sich mehr Tickets verkaufen lassen (obwohl Livestreams natürlich günstiger sein sollten als die echten Shows), es gäbe immer noch eine Chance, sich komplett ausverkaufte Konzerte anzusehen, und der durchgerüttelten Musikbranche wäre damit auch was Gutes getan. Dasselbe gilt übrigens für die gesamte Kulturbranche: Warum Livestreams nur als Notlösung? Und definitiv bräuchte es auch eine Umstellung von uns KonsumentInnen und die Bereitschaft, auch einen Abend zu Hause mit einem tollen Livekonzert als «Anlass» zu sehen, den man feiern und geniessen kann.
Der einzige Nachteil wäre, dass dies alles auch schnell scheitern kann, wenn die Technik streikt – wie gerade diese Woche, als ich eine Livekochshow verfolgte und mein Laptop mittendrin beschloss, genau jetzt dringende Updates machen zu müssen, worauf er abstürzte und ich den Rest der Show verpasste. Aber ganz ehrlich, ich habe auch schon ein Konzert halb verpasst, weil ich mein Handy im Bus verloren hatte – also schiefgehen kann eigentlich immer was. Sich dann nicht aufzuregen, ist in jedem Fall eine Kunst.
XENIA SCHMIDLI
SCHMIDLIX@HISPEED.CH