Adelbodner Fotopioniere vermitteln Lebensgefühl der 30er-Jahre
25.01.2022 AdelbodenSKIVIRUS Historische Aufnahmen von Emanuel Gyger und Arnold Klopfenstein sind derzeit im Alpinen Museum in Bern zu sehen. Sie vermitteln die Botschaft: Skifahren war früher mehr als Sport.
PETER SCHIBLI
Eines der wichtigsten Werke der frühen Skifotografie wird fast ...
SKIVIRUS Historische Aufnahmen von Emanuel Gyger und Arnold Klopfenstein sind derzeit im Alpinen Museum in Bern zu sehen. Sie vermitteln die Botschaft: Skifahren war früher mehr als Sport.
PETER SCHIBLI
Eines der wichtigsten Werke der frühen Skifotografie wird fast 100 Jahre nach seiner Entstehung erstmals in der Schweiz in einer Ausstellung gewürdigt. Die spektakulären Bilder des Fotografenduos Emanuel Gyger (1886–1951) und Arnold Klopfenstein (1896–1961) sind derzeit im Alpinen Museum in Bern zu sehen. Die Adelbodner hinterliessen über 10 000 Landschaftsfotografien mit einem Schwerpunkt auf alpinen Schnee- und Winterwelten. Auf ihren Expeditionen durch das Berner Oberland entstanden etwa 250 Skifotografien, die zu ihren Lebzeiten ein Nebenwerk darstellten, rückblickend aber als ihr künstlerisches Hauptwerk zu betrachten sind. In den 20er- und 30er-Jahren perfektionierten Gyger und Klopfenstein mit der Skifotografie ein damals noch junges Genre.
Vorreiter in Sachen Technik und Stilmittel
Die beiden entwickelten eine markante fotografische Handschrift, die den Betrachter bis heute in ihren Bann zieht. Ihre Schwarz-Weiss-Aufnahmen zeichnen sich aus durch Kontrastreichtum, das virtuose Spiel mit Licht und Schatten sowie einen radikalen Einsatz von Gegenlichteffekten. Weitere Merkmale sind die Stringenz der Bildkomposition und die meisterhaft in Szene gesetzten Landschaftskulissen. Vor allem aber entwickelten die Adelbodner Techniken und Stilmittel, um hochdynamische Bewegungen festzuhalten und im Bild sichtbar zu machen, z.B. durch vom Sonnenlicht ausgeleuchtete Pulverschneewolken. Ihr Werk deckt das gesamte Spektrum der Skifotografie ab (Abfahrt, Sprung, Schwungtechniken, Skispuren). So setzte das Duo Standards im Bereich der Wintersportfotografie, die bis heute kaum übertroffen wurden.
Vor einigen Jahren stiess der deutsche Sammler Daniel Müller-Jentsch auf eine seltene Skifotografie von Gyger und Klopfenstein und war fasziniert von deren kraftvoller Ästhetik. Mit detektivischer Akribie begann er, eine Sammlung zusammenzutragen, die punkto Umfang und Qualität ihresgleichen sucht. Sie umfasst neben vielen Originalfotos auch umfangreiche Bestände an Gebrauchsgrafik, Fotopostkarten, Fachliteratur und anderen kontextualisierenden Materialien. Nach einer Ausstellung in Berlin vor zwei Jahren sind die Bilder noch bis zum 1. Mai im Alpinen Museum in Bern zu sehen.
Ski-Boom in China
Die Ausstellung unter dem Titel «Das Skivirus – eine Spurensicherung» schlägt den Bogen zu einer Indoor-Skianlage in einer Shoppingmall in der chinesischen Grossstadt Shanghai. Skifahren ist in China – 100 Jahre nach der Pionierzeit in den Alpen – das Vergnügen einer finanzkräftigen, städtischen Schicht. Die interviewten Chinesinnen und Chinesen geben als Wunschtraum an, eines Tages in den Alpen Ski fahren zu wollen. Als Gastgeberland der Olympischen Spiele habe China die Entwicklung einer eigenen Skiinfrastruktur in den letzten Jahren enorm vorangetrieben, heisst es. Laut dem Alpinen Museum liegt das Land weltweit auf Platz 8 im Ranking der Skigebiete und gar auf Platz 1 bei den Indoor-Skianlagen.
Sprungszenen wurden gestellt
Unter den Besuchern der Ausstellungsvernissage waren am vergangenen Freitag auch zwei Nachfahren der Skifotografen: Jürg Gyger und Peter Klopfenstein. Letzterer ist Agroingenieur sowie Mitinhaber des bekannten Adelbodner Fotogeschäfts und kennt seinen berühmten Grossvater nur vom Hörensagen. Speziell an den Aufnahmen sei das Gegenlicht und die Tatsache, dass sich die beiden Fotopioniere mit ihrer schweren Ausrüstung perfekt im Gelände auskannten. Die Arbeit mit Glasnegativen sei hart gewesen, die Sprünge nicht in voller Fahrt, sondern praktisch aus dem Stand heraus fotografiert worden.
Als Vertreter der Wissenschaft sprach der österreichische Kulturwissenschaftler und Ethnologe Bernhard Tschofen. Die Fotos von Gyger & Klopfenstein seien wichtige zeitgeschichtliche Dokumente. Skifahren in den 30er-Jahren sei so etwas wie «die Jugendbewegung des Alpinismus» gewesen. Im Gegensatz zu China heute, wo Skifahren nur einer reichen Oberschicht vorbehalten bleibe, habe der Skisport zwischen den Weltkriegen demokratisch das ganze Volk, namentlich auch die Arbeiterbewegung, erfasst. So gesehen sei Skifahren in den 30er-Jahren nicht nur Sport, sondern auch Ausdruck eines grossartigen Lebensgefühls gewesen. Dies komme in den Fotos und Filmen von damals sehr gut zum Ausdruck, betonte der Zürcher Professor an der Vernissage.
Anlässlich der Berliner Ausstellung erschien vor zwei Jahren ein Buch mit den Fotos von Gyger und Klopfenstein: Daniel Müller-Jentsch (Hrsg.), Emanuel Gyger und Arnold Klopfenstein – Pioniere der Skifotografie. ISBN 978-3-948741-04-4.