Feiern in der Light-Version
25.01.2022 KanderstegNachdem sie im letzten Jahr ausge fallen war, fand die Belle-Epoque-Woche diesmal mit reduziertem Programm und einem angepassenten Konzept statt. Ob und wie das funktionieren würde, war durchaus fraglich. Nach der Eröffnung weiss man: gar nicht so schlecht.
Nachdem sie im letzten Jahr ausge fallen war, fand die Belle-Epoque-Woche diesmal mit reduziertem Programm und einem angepassenten Konzept statt. Ob und wie das funktionieren würde, war durchaus fraglich. Nach der Eröffnung weiss man: gar nicht so schlecht. GALERIE MARK POLLMEIER Es wird nicht das letzte Mal sein, dass zwei Zeiten parallel existieren: Die Gegenwart – und jene Jahrzehnte um die vorletzte Jahrhundertwende. Dafür sorgen schon die vielen Wintersportler, die heute das Dorf bevölkern. Und so streben die einen in sportlicher Funktionskleidung zur Loipe, die Langlaufski geschultert. Die anderen flanieren in Halbleinen und Rüschenbluse durchs Dorf und schwingen dazu den Spazierstock. Vom Holzofenbrot bis zum Berliner Ausritt im Schatten der Bire Überhaupt war das Wetter wohl der beste Helfer für diesen Eröffnungstag. Mochte Omikron auch für eine Light-Ausgabe der Belle-Epoque-Woche gesorgt haben – die verschneiten Berge vor tiefblauem Himmel boten eine prächtige Kulisse und waren sicher mit verantwortlich, dass in Kandersteg einiges los war. Das galt insbesondere für das Karusell auf dem Schulhausplatz, das nicht nur Kinder magisch anzog (siehe Artikel auf Seite 7). Auch viele der feinen Herrschaften lupften Kleidersaum und Rockschösse und gönnten sich auf einem der weissen Rösser einen Ausritt – unter ihnen Gemeinderatspräsident René Maeder und die Berner Regierungspräsidentin Beatrice Simon. Wiegen im Dreivierteltakt Wer wollte, konnte vom Konzert der quatre Salonesses gleich zum Thé Dansant übergehen und sich dort weiter im Dreivierteltakt wiegen. Oder es etwas ruhiger angehen lassen und allmälich das Diner ins Auge fassen. So oder so: Es lohnte sich, noch ein bisschen in der Belle Epoque zu verweilen – oder gleich in Kandersteg zu übernachten. Wer das nicht tat und stattdessen die Autofahrt nach Norden antrat, brauchte ab dem Mitholztunnel häufiger die Bremse als das Gaspedal, und spätestens in Frutigen ging ab 17 Uhr fast nichts mehr. Aber irgendwie passte auch das: Zum Start der 12. Belle-Epoque-Woche war auf der Strasse eben Postkutschen-Tempo angesagt.
Es ist kurz vor 11 am Sonntagmorgen. Die Predigt ist gerade vorbei, die Kirchgänger strömen nach draussen, viele von ihnen sind im Belle-Epoque-Stil gekleidet, wie es sich gehört. Aus der Bahnhofstrasse kommt ein Kombi gefahren, Kennzeichen KN für Konstanz. Als der Wagen die Kirche passiert, wird er langsamer, bleibt fast stehen. Fahrer und Beifahrerin schieben die Sonnenbrillen auf die Stirn und blicken ungläubig auf das Volk, das sich dort tummelt. Als die beiden bemerkt werden, winken sie etwas verlegen und fahren weiter.
Mancher hatte sich wohl im Vorfeld gefragt, ob diese Ausgabe der Nostalgiewoche funktionieren würde, ohne Einfahrt des historischen Zuges, ohne Eröffnung auf der Bahnhofmatte und vor allem: ohne die grosse Promenade durchs Dorf. Die Bilanz nach dem Start: ja, sie funktioniert. Natürlich war der Andrang nicht vergleichbar mit früheren Jahren, aber das war angesichts der Pandemie durchaus gewollt. Statt des zentralen Festplatzes vor dem Bahnhof verteilten sich nun Stände und Verpflegungsbuden übers ganze Dorf. Wer wollte, konnte vorne beim Holzofenbrot anfangen, unterwegs eine warme Suppe oder Fisch essen und sich weiter hinten zum Kaffee einen Berliner gönnen. Und wer noch nicht Belle-Epoque-gerecht ausgestattet war, hatte an mehreren Orten die Möglichkeit, sich mit passender Kleidung und altertümlicher Ausrüstung zu versorgen – vom Stockschirm bis zum eleganten Lederköfferchen (siehe auch Artikel auf Seite 7).
Ganz leer war auch die Bahnhofmatte freilich nicht. Wie in früheren Jahren gab es dort einige Stände, am Rand des Platzes ersetzte ein altertümlicher Orgelapparat eine ganze Musikkapelle, und in der Mitte strahlte die Sonne so hell auf die eigens angelegte Eisfläche, dass man den Schlittschuhläufern nur mit zugekniffenen Augen zuschauen konnte.
Bei dem herrlichen Wetter kostete es fast ein wenig Überwindung, zur offiziellen Eröffnung in den Gemeindesaal zu wechseln. Und doch taten es viele, denn drinnen lockte zwar nicht die Sonne, dafür aber beschwingte Musik aus der Zeit der Belle Epoque. «Les quatre Salonesses» spielten auf, und auf den Notenständern der vier Damen lagen vor allem bekannte Walzer- und Marschkompositionen aus der Strauss-Ära (siehe Artikel auf Seite 7). Musik habe damals eine grosse Bedeutung gehabt, sagte Annemarie Kempf Schluchter, die Präsidentin des Belle-Epoque-Vereins, in ihrer Begrüssungsansprache. Aber sie sei auch heute wichtig. «Ich weiss nicht, wie es Ihnen gegangen ist, aber als ich vorhin die ersten Klänge gehört habe, wurde alles gleich viel leichter.»