POLITIKUM – Struktureller Rassismus im Sport
28.01.2022 KolumneStruktureller Rassismus im Sport
Im Moment läuft der «Africa Cup of Nations», der dieses Jahr in Kamerun durchgeführt wird. Er ist das afrikanische Pendant zur Fussball-EM. Allerdings weist der Wettbewerb einige Besonderheiten auf, die auch die politische Dimension des ...
Struktureller Rassismus im Sport
Im Moment läuft der «Africa Cup of Nations», der dieses Jahr in Kamerun durchgeführt wird. Er ist das afrikanische Pendant zur Fussball-EM. Allerdings weist der Wettbewerb einige Besonderheiten auf, die auch die politische Dimension des Wettbewerbs verdeutlichen.
Als Beispiel soll dafür das Vorrundenspiel zwischen Mali und Mit-Favorit Tunesien dienen. Hauptakteur eines «Skandals» war in diesem Fall der Schiedsrichter Janny Sikazwe. Er pfiff das Spiel bei einer 1:0-Führung für Underdog Mali gleich zweimal zu früh ab. Zum ersten Mal geschah dies in der 86. Spielminute. Sikazwe bemerkte seinen Fehler sofort und liess das Spiel mit Schiedsrichterball weiterlaufen – bis zur Spielzeit von 89 Minuten und 45 Sekunden. Dann pfiff er das Spiel zum zweiten Mal (und wieder zu früh) ab. Die Schiedsrichter mussten von Sicherheitskräften geschützt werden, während der Pressekonferenz nach dem Spiel bewegten sich einige Spieler nochmals aufs Spielfeld. Ich persönlich verfolge den Africa Cup sehr gern. Im Gegensatz zum hochtaktischen europäischen Fussball ist das Niveau hier zwar tiefer, der Unterhaltungswert aber grösser. Trotz der Vuvuzelas – Sie erinnern sich sicher an die WM in Südafrika! – wird es einem beim Zuschauen nie langweilig. Ich habe deshalb auch das Vorrundenspiel Tunesien gegen Mali live mitverfolgt und mich dabei ertappt, rassistisch zu sein. Mein erster Gedanke war nämlich, dass ich gerade Korruption miterlebt habe, weil die Wettquoten für einen Underdog-Sieg natürlich sehr hoch sind. Im Übrigen hat sich dieser Korruptionsverdacht auch bei den europäischen Medien festgesetzt.
Erst etwa eine Woche später hat sich gezeigt, dass der Schiedsrichter Janny Sikazwe wohl schlicht an einem Hitzschlag litt und seine Uhr nicht mehr richtig lesen konnte. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Offensichtlich nehmen viele Medien Afrika als Kontinent nicht ernst. Das ist eigentlich ein natürlicher Reflex: Im Korruptionswahrnehmungsindex belegen afrikanische Länder regelmässig die hintersten Ränge, und unser Gehirn versucht, sich das Leben möglichst einfach zu machen. Es geht vom gefühlt häufigsten Fall aus, damit nicht jedes einzelne Ereignis einzeln geprüft werden muss.
Damit verfestigt man natürlich aber auch Vorurteile und stärkt einen Teufelskreis. Nun ist meine Meinung zum Africa Cup für die Weltpolitik natürlich wenig relevant. Aber ich gehe davon aus, dass diese Vorurteile auch in Bereichen ausserhalb des Sports viel Unheil anrichten. Um einen Gegenpol zu setzen, habe ich mich für ein Gedankenexperiment entschieden: Ich suche jetzt in so vielen europäischen Sportwettbewerben wie möglich Korruption. Das ergibt faszinierende Ergebnisse: der Nebel im oberen Teil der Streif-Abfahrt, ein Check gegen den Kopf in einem Eishockeyspiel ...
Dieses Gedankenexperiment kann man übrigens auch mit politischen Entscheiden durchführen – mit ähnlichen Resultaten. Auf die Dauer wird es aber sehr anstrengend, überall eine Verschwörung zu wittern. Daraufhin habe ich mein Gedankenexperiment abgebrochen und mich entschieden, im Sport wie in der Politik einen anderen Ansatz zu verfolgen. Ich vertraue den Aussagen der Verantwortlichen grundsätzlich und prüfe nach, bevor ich ein Urteil wage. So einfach das auch tönt: Versuchen Sie einmal, das konsequent durchzuziehen!
SEBASTIAN DÜRST
SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH