PIONIERE DER ARBEIT
Nichts verrät so viel über eine Gesellschaft wie ihr Verhältnis zur Arbeit. Entwicklungen in Sachen Wohlstand oder Weltanschauung spiegeln sich stets auch im Arbeitsbegriff wider. Das althochdeutsche arabeit bedeutete so viel wie Mühsal oder Not. Bis ...
PIONIERE DER ARBEIT
Nichts verrät so viel über eine Gesellschaft wie ihr Verhältnis zur Arbeit. Entwicklungen in Sachen Wohlstand oder Weltanschauung spiegeln sich stets auch im Arbeitsbegriff wider. Das althochdeutsche arabeit bedeutete so viel wie Mühsal oder Not. Bis ins frühe Mittelalter war Arbeit verpönt und den Untergebenen respektive den Bauern vorbehalten. Wer konnte, frönte dem Müssiggang – bis Martin Luther kam und alles auf den Kopf stellte. Faulenzen verschmähte er, Arbeit erklärte er zum Selbstzweck, um den herum das ganze Leben kreist. Spätestens seit der Aufklärung dient die Arbeit wieder äusseren Zwecken: Je nach sozialer Ausgangslage sichert sie das Überleben, schafft Wohlstand – oder stiftet sogar Sinn.
Heute ist unser Verhältnis zur Arbeit gespaltener denn je. Einerseits wird sie (scheinbar) zur Nebensache degradiert (Stichwort Work-Life-Balance). Andererseits dringt sie zunehmend in unser Privatleben vor. In Zeiten des Homeoffice verschwimmen die Grenzen zwischen Fleiss und Faulheit. Ist es Arbeitszeit, wenn ich in der Badewanne einen Vortrag durchgehe oder beim Wandern ein neues Möbelstück entwerfe? Wer dies verneint, hat offenbar noch einen mittelalterlichen Arbeitsbegriff, ganz nach dem Motto: Arbeit muss doch wenigstens ein bisschen unangenehm sein!
Zum Glück gibt es heute eine geistige Elite, die mit solch überholten Vorstellungen bricht: Boris Johnson zum Beispiel. Der britische Premier wird dafür angefeindet, dass er während des Lockdowns an einer Gartenparty in der Downing Street teilnahm. Völlig zu Recht weist er aber darauf hin, dass es sich dabei bloss um ein Arbeitstreffen gehandelt habe.
Ein wahrer Pionier der Arbeit ist auch Pierin Vincenz. Der frühere Raiffeisen-Chef hat schon sehr früh begriffen, dass Arbeit und Vergnügen Hand in Hand gehen. Hunderttausende Franken hat er in Stripclubs verbraten und über den Arbeitgeber als Spesen abrechnet. Aktuell muss er sich vor Gericht dafür verantworten. Dabei ist seine Begründung total einleuchtend: Beziehungspflege! Wichtige Geschäftskunden muss man schliesslich bei der Stange halten – manchmal sogar wortwörtlich.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH