50 Jahre Ehe – und erst zwölf Hochzeitstage
25.02.2022 Reichenbach, KientalNur alle vier Jahre haben Theres und Michael Hämmerli-Weyermann Hochzeitstag. Die Alt-68er haben sich an einem Schalttag das Ja-Wort gegeben – und zwar ganz bewusst. Obwohl es dieses Jahr keinen 29. Februar gibt, feiern sie trotzdem ihr Goldenes Jubiläum.
KATHARINA ...
Nur alle vier Jahre haben Theres und Michael Hämmerli-Weyermann Hochzeitstag. Die Alt-68er haben sich an einem Schalttag das Ja-Wort gegeben – und zwar ganz bewusst. Obwohl es dieses Jahr keinen 29. Februar gibt, feiern sie trotzdem ihr Goldenes Jubiläum.
KATHARINA WITTWER
«Mein Vater kaufte 1951 auf Gorneren, weit hinten im Kiental, das Chalet ‹Bärgrösli› im Rohbau. Wir verbrachten fast alle unsere Ferien und viele Wochenenden dort. Natur bedeutet mir alles und dort bin ich verwurzelt», erzählt Theres Hämmerli-Weyermann. Vor Jahren haben sie und ihr Ehemann Michael den Steuersitz in die Gemeinde Reichenbach verlegt. Obwohl im Winter die Strasse durch die Griesschlucht meistens geschlossen ist und der Fussmarsch vom Parkplatz beim Tschingel rund eine Stunde dauert, sind sie regelmässig dort.
Auf einem Dach erblickt
Es war ein heisser Sommertag, der 13. Juli 1971. Von seiner «Bude» im Berner Weissenbühlquartier aus beobachtete Michael Hämmerli auf dem gegenüberliegenden Dach eine junge Frau in geflickten Jeans und in einem knappen, hellblauen Oberteil, die mit Pinsel und Farbkessel hantierte. Neugierig geworden, fragte er sie, welche Musik sie am liebsten höre. «Beatles», rief sie zurück. Kurz entschlossen stellte er die Lautsprecherboxen auf den Fenstersims und spielte in voller Lautstärke den Hit «All You Need Is Love» ab. Doch damit noch nicht genug: Beim Kiosk um die Ecke kaufte er eine Glacé, stieg damit das Treppenhaus hinauf und überreichte sie ihr. Nach Arbeit gefragt, drückte sie ihm eine Drahtbürste in die Hand, womit er – wie befohlen – die Blechabdeckungen abbürstete.
Fünfliber mit Fingerabdruck
Theres Weyermann studierte Medizin. Während der Semesterferien verdiente sie sich ein Taschengeld in der Dachdeckerfirma ihres Vaters. Dieser war gar nicht erfreut, einen ungesicherten Fremden in der Höhe anzutreffen. Bevor der junge Mann hinunterstieg, fragte er nach Lohn. «Ich hatte nur einen Fünfliber in der Hosentasche, klaubte ihn mit meinen von brauner Farbe verschmierten Fingern hervor und gab ihm die Münze. Dabei blieb ein Farbabdruck meines Daumens kleben», erinnert sich die bald 73-Jährige Theres. Die geübte Schwimmerin lud ihn zur Abkühlung zu einem gemeinsamen Bad in der Aare ein. «Ich als Bündner war Nichtschwimmer, wollte mir aber keine Blösse geben und ging mit. Theres rettete mich vor dem Ertrinkungstod, indem sie mir aus dem Wasser half. Als ich ihr angemessen danken wollte, rannte sie weg. Zum Glück war ich besser im Rennen als im Schwimmen …»
Teil einer Bewegung
Wenige Tage später fuhren die Weyermann-Geschwister mit einem VW-Bus nach Italien in die Ferien. Mit einer schlimmen Magen-Darm-Grippe kehrte Theres zu ihrer neuen Bekanntschaft nach Bern zurück. Daraufhin folgten wilde Zeiten. Der gelernte Bäcker-Konditor hatte die beste Lehrabschlussprüfung in seinem Heimatkanton abgelegt, wollte eigentlich die Matura nachholen und hatte eine Militärkarriere im Visier. Aus all dem wurde jedoch nichts. Stattdessen rutschte er in die Drogenszene und landete sogar im Knast. Als ihm seine Freundin Medikamente dorthin bringen wollte, wurde sie wegen fehlender Rechte abgewiesen. Daraufhin sagte sie zu ihm: «Das passiert nie mehr! Wollen wir heiraten?»
Theres Weyermann engagierte sich damals in einer Studierendenbewegung. Ihre Gruppe kämpfte für eine «Umkrempelung» und Modernisierung des Medizinstudiums. Die künftigen ÄrztInnen wollten nicht mehr bloss Anatomie und Physiologie büffeln, sondern auch den Umgang mit PatientInnen sowie psychologisch gute Gesprächsführung praxisnah üben. Theres selbst profitierte nicht mehr von der Reform des Studiums, denn ihr weiteres Leben ging in eine völlig andere Richtung.
Ein Hochzeitsgeschenk läutet die Selbstständigkeit ein
Die Brautleute waren sich schnell einig, sich am 29. Februar 1972 standesamtlich trauen zu lassen. Gegen Ende desselben Jahres wurden sie Eltern. «Bald darauf schenkte mir der Schwiegervater einen alten VW-Bus mit allerlei Werkzeug, einer Leiter, einem Kännelvelo (Gerüst zum Einhängen in die Dachrinne) und befahl mir: ‹So, Michu, mach öppis drus!› Rückblickend war dies das allerbeste Hochzeitsgeschenk.» Daraufhin machte er sich als Handwerker selbstständig und ist es noch heute. In einem beschaulichen Dorf im Seeland kaufte die junge Familie ein altes Bauernhaus. Den Eheleuten wurden vier Töchter und zwei Söhne geschenkt, doch sie hatten auch schwere Schicksalsschläge zu ertragen – unter anderem ertrank das jüngste Kind in der Nähe des Hauses.
Im Laufe der Zeit erwarb das Paar weitere Liegenschaften in der Umgebung und eröffnete ein spirituelles Zentrum. Dieses ist inzwischen in neue Hände übergegangen.
Auf ewig dankbar
Und heute? Halten sich Theres und Michael Hämmerli nicht im «Bärgrösli» auf, so wohnen sie in einem einfachen Häuschen mit Umschwung und einigen Kleintieren in der Nähe des Neuenburgersees. Die Frage, ob sie ihren Hochzeitstag feiern, der nur alle vier Jahre ein richtiger ist, beantworten sie mit einem Strahlen im Gesicht: «Wir machen immer etwas ganz Besonderes – auch wenn es diesen Tag nicht gibt.» Was sie unternehmen, bleibt ihr Geheimnis.
Zum Schluss des Gespräches macht Michael seiner fünf Tage älteren Ehefrau ein grosses Kompliment: «Theres hat mich seinerzeit aus dem Schlamassel geholt. Dafür bin ich ihr ewig dankbar!»