Die drängendsten Probleme bleiben
25.02.2022 WirtschaftAuch wenn die Pandemiebeschränkungen nun aufgehoben sind, stehen Restaurants und Bars vor vielfältigen Herausforderungen. Zumindest in Teilen des Gastgewerbes wird es zu Veränderungen kommen müssen – und die werden am Ende auch die Gäste betreffen.
Glaubt man den ...
Auch wenn die Pandemiebeschränkungen nun aufgehoben sind, stehen Restaurants und Bars vor vielfältigen Herausforderungen. Zumindest in Teilen des Gastgewerbes wird es zu Veränderungen kommen müssen – und die werden am Ende auch die Gäste betreffen.
Glaubt man den Schlagzeilen der letzten Jahre, liegt die Gastronomie schon längere Zeit auf dem Totenbett. «Auf dem Land kommts zum grossen Beizensterben.» So titelte der «Blick» vor acht Jahren, im Frühjahr 2014. Vier Jahre später war die Lage nicht besser. «Beizensterben erreicht Höchststand», lautete die Schlagzeile in der «SonntagsZeitung». Schweizweit waren soeben 2220 Betriebe aus dem Handelsregister gelöscht worden, hinzu kamen 684 Konkurse. Demgegenüber standen 2048 Neueintragungen – unter dem Strich gab es im Frühjahr 2018 also 856 Gastrobetriebe weniger als im Jahr zuvor.
Dann kam Corona, und wieder machte die Warnung vom «Beizensterben» die Runde. Dafür sorgte vor allem Casimir Platzer. «Das Gastgewerbe steht kurz vor dem Kollaps», warnte der GastroSuisse-Präsident im Herbst 2020. Laut einer internen Umfrage drohe fast 45 Prozent aller Bars und Restaurants innerhalb der nächsten Monate die Schliessung, so Platzer damals. Er wolle nicht schwarzmalen, aber «es brennt». 100 000 Arbeitsplätze seien gefährdet.
Die Pandemie wirkt nach
Der alarmistische Ton hat sich inzwischen etwas abgeschwächt, aber die Botschaft ist noch dieselbe. Am vergangenen Mittwoch, als der Bundesrat fast alle Corona-Massnahmen aufhob, jubelte GastroSuisse: «Auf diesen Moment haben wir lange gewartet.» Um jedoch gleich hinterherzuschieben, dass die wirtschaftliche und personelle Lage im Gastgewerbe «weiterhin ernst» bleibe. In den Jahren 2020 und 2021 seien die Umsätze gegenüber 2019 um rund 40 Prozent eingebrochen, hiess es zur Begründung. Viele Betriebe hätten keine Reserven mehr. «Es braucht Zeit, bis sich die gastgewerblichen Betriebe erholt haben», so Verbandschef Casimir Platzer.
Unzweifelhaft ist die Gastronomie eine Branche, die vom Ausbruch der Pandemie und den nachfolgenden Massnahmen hart getroffen wurde. Restaurants, Bars und Cafés waren zeitweise mit einem faktischen Arbeitsverbot belegt. Zwar gab es staatliche Hilfen, doch die flossen manchmal ausgesprochen langsam und trafen erst mit Verzögerung bei den Betroffenen ein. Nun geht die Pandemie zu Ende, jeder darf wieder uneingeschränkt ins Restaurant und Café. Und doch steuert die Gastrobranche auf schwierige Zeiten zu. Einer der Hauptgründe: der Personalmangel.
Schon vor der Corona-Krise war es für die Gastronomie nicht einfach, Angestellte zu finden. Die Arbeitsbedingungen gelten insbesondere in Restaurantbetrieben als wenig attraktiv: lange Arbeitszeiten, oft bis in den späten Abend; Einsätze an Wochenenden und Feiertagen, dazu ein vergleichsweise tiefes Lohnniveau. In touristisch geprägten Regionen kommt hinzu, dass die Arbeitsverhältnisse stark saisonabhängig sind. Auf Phasen hektischer Betriebsamkeit folgen Zeiten, in denen nur wenig oder gar kein Personal gebraucht wird. Corona hat die Personalflucht aus der Gastronomie beschleunigt: Wer mit seinem Job ohnehin unzufrieden war, nutzte nun die Gelegenheit zum Absprung. In den Leerlaufphasen der Pandemie wechselten viele in Jobs mit geregelten Arbeitszeiten und berechenbarem Einkommen. Schon Ende 2020 waren in der Gastrobranche rund 11 Prozent weniger Mitarbeiter beschäftigt als im Jahr zuvor.
Die Folgen dieses Aderlasses zeigten sich spätestens im Sommer 2021. Als die Restaurants in die Saison starten wollten, fehlte überall das Personal – eine Situation, die bis heute anhält. Rezeptionisten und Servicekräfte, Köche und Küchenhilfen: Vor allem in Tourismusorten wie Adelboden oder Kandersteg werden jetzt, da die Betriebe endlich wieder «hochfahren» können, zahlreiche Arbeitskräfte gesucht.
Der Nachwuchs macht sich rar
Ob sich zuvor abgewanderte Mitarbeiter zurückholen lassen, ist fraglich. Bei aller Aufbruchstimmung bleibt die Lage der Gastronomie vorerst unsicher, zudem haben sich die Arbeitsbedingungen der Branche nicht geändert. Letzteres ist ein Grund, warum es mit dem Nachwuchs hapert.
Auch der Ausbildungsbereich war schon vor 2020 ein Sorgenkind der Gastrobranche, regelmässig gab es jeweils im August Hunderte unbesetzte Lehrstellen. Gerade für den Kochberuf entscheiden sich heute immer weniger junge Menschen. Verbände wie GastroSuisse und HotellerieSuisse tun einiges, um die Lücken zu schliessen: mit Orientierungsprogrammen, Schnuppertagen, Info-Plattformen. Weil jedoch alle diese Bemühungen die Rahmenbedingungen der Branche nicht von heute auf morgen ändern können, ist der Erfolg überschaubar. Und selbst wenn sich Jugendliche für eine Ausbildung in der Gastronomie entscheiden, bleiben viele nicht lange. Ein Drittel bricht die Lehre vorzeitig ab, von den übrigen wechselt jeder Zweite nach wenigen Jahren die Branche.
Auch von Nachwuchsseite her ist also kaum mit einer Entspannung der prekären Personalsituation zu rechnen: Jugendliche, die heute nicht ausgebildet werden, stehen morgen nicht als Arbeitskräfte zur Verfügung.
Zu allem Überfluss ist es in den letzten Jahren schwieriger geworden, ausländische Arbeitskräfte zu rekrutieren. Dazu beigetragen hat einerseits die Initiative gegen die Masseneinwanderung und der nachfolgende «Inländervorrang light». Andererseits sorgte die wirtschaftlich gute Situation in vielen Ländern Europas dafür, dass ausländische Arbeitskräfte in ihre Heimatländer zurückkehrten. Zuletzt war es dann die Corona-Krise mit ihren Reisebeschränkungen, die den Rückgriff auf ausländische Mitarbeiter erschwerte.
Keine neuen Phänomene
Auch wenn die Pandemie also manches akzentuiert und verschärft hat, reichen die Probleme der Gastrobranche weiter zurück als bis zum Frühjahr 2020. Dementsprechend werden sie sich durch die jetzigen Öffnungsschritte nicht einfach in Luft auflösen – selbst wenn die Kunden wieder an die Tische strömen würden wie zu besten Zeiten.
Vor allem die Personalsituation könnte sich langfristig zum Teufelskreis entwickeln, denn am Personal hängt letztlich die Qualität der gesamten Branche. Fehlen gut ausgebildete Mitarbeiter, müssen viele Betriebe improvisieren – entweder, indem sie gering qualifizierte Leute einstellen oder indem sie die gleiche Arbeit mit weniger
Personal erledigen. Langfristig wirkt sich beides negativ aus, sowohl auf die Qualität als auch auf die Motivation der Beschäftigten.
Was helfen könnte, liegt auf der Hand: Mehr Wertschätzung und höhere Löhne. Mit beidem tut sich die Branche schwer. Geht es um die Wertschätzung, ist es nicht mit ein paar netten Worten getan. Aus Sicht der Angestellten gehören dazu auch attraktivere Arbeitszeiten – doch die lassen sich im Restaurantbetrieb kaum anbieten. Gegessen wird vor allem mittags und abends, dazwischen gibt es zwangsläufig Leerlaufzeiten, die sogenannten Zimmerstunden. Ein geregelter Acht-Stunden-Tag ist in diesem Rhythmus schwierig zu organisieren. Immerhin: Erste Lösungsansätze gibt es. Manche grösseren Betriebe haben auf eine Vier-Tage-Woche umgestellt. Dort arbeiten die Köche beispielweise an vier Tagen gut 10 Stunden. Anschliessend haben sie drei Tage frei. Womöglich braucht es – jedenfalls dort, wo es machbar ist – künftig mehr solche kreativen Experimente.
Höhere Preise wohl unvermeidlich
Auch in die seit Langem schwelende Diskussion um höhere Löhne kommt nun Bewegung. Dass die Bezahlung in der Gastrobranche am unteren Ende der Gehaltsskala liegt, wissen auch die Wirte und Verbandsvertreter. Bislang wehrten sie sich stets mit dem Argument, dass Lohnsteigerungen unweigerlich Preiserhöhungen zur Folge hätten, sprich: dass man am Ende die Gäste zur Kasse bitten müsste. Doch in Teilen der Branche reift allmählich die Erkenntnis, dass es anders wohl nicht gehen wird. Zumindest jene Restaurants, die kein Convenience Food aus dem Tiefkühler, sondern Qualität bieten wollen, werden nicht anders können, als langfristig die Preise anzuheben – so wie es derzeit auch in anderen Bereichen der Wirtschaft geschieht.
In der Gehaltsfrage lohnt sich ein Blick in die Nachbarländer, die vor ganz ähnlichen Herausforderungen stehen wie die Schweizer Gastronomie. Um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wurden gerade in mehreren deutschen Bundesländern höhere Löhne vereinbart. Beispiel Hamburg: Dort soll der Einstiegslohn in drei Stufen um immerhin 34 Prozent steigen. Auch für fertig ausgebildete Fachkräfte wird es ab April in mehreren Etappen fixe Lohnzuschläge geben. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Arbeitgebervertretung) hat bereits damit begonnen, die Gäste auf die höheren Preise auf den Speisekarten vorzubereiten.
So erfordert der Personalmangel am Ende eben nicht nur Anstrengungen in der betroffenen Gastrobranche – auch deren Kunden müssen möglicherweise umdenken, nicht nur in Deutschland. Wer heimische Produkte von tadelloser Qualität auf dem Teller haben will, verarbeitet zu kreativen Gerichten und serviert von motivierten Mitarbeitern, der muss bereit sein, dies entsprechend zu honorieren.
Höhere Löhne und Preise werden freilich nicht alle Probleme lösen, dafür ist die Situation der Gastronomie zu komplex. Die Bandbreite in der Branche erstreckt sich von der einfachen Bierbeiz bis hin zum Spitzenrestaurant, die Herausforderungen reichen vom fehlenden Nachfolger im Familienbetrieb bis zu geänderten Konsum- und Ernährungsgewohnheiten. So gesehen war die Pandemie sicher einschneidend – aber letztlich doch nur ein Mosaikstein in einem grösseren Bild.