FEDERLESIS – Endzyt
22.02.2022 KolumneEndzyt
«Hey Buebe, das war wirklich eine coole Idee mit dem Ausflug auf die Kunsteisbahn. Freue mich grad aufs Hockeyspielen mit euch!» Stille in der Garderobe. Meine Zwillingsbuben sehen mich an, als hätten sie gerade den Pögg verschluckt. Kein «Ig o!», kein Kichern ...
Endzyt
«Hey Buebe, das war wirklich eine coole Idee mit dem Ausflug auf die Kunsteisbahn. Freue mich grad aufs Hockeyspielen mit euch!» Stille in der Garderobe. Meine Zwillingsbuben sehen mich an, als hätten sie gerade den Pögg verschluckt. Kein «Ig o!», kein Kichern oder ein «Du hesch eh ke Chance, Mama» … Was ist denn los? Einer von beiden bringt doch noch ein gequältes Lächeln zustande. Es dämmert mir … die Hockeymutter ist ihnen peinlich! Zwei gequälte Lächeln. Kein Problem, Jungs. Absolut okay. Ich verstehe das. Ich übe dann mal chli Pirouetten … in der entferntesten Ecke der Eisbahn, wenns recht ist.
«Wir altern – alle», schrieb letzthin eine Kolumnistin, das Leben sei von Endlichkeit geprägt. Tja, somit befinde ich mich in einer persönlichen Endzeit. War ich – jedenfalls gefühlt – noch bis vor Kurzem Vollzeitbeschäftigte als Ersthelferin beim Anbügeln am Skilift, Expertin für schnelles Schnürsenkelbinden und Rekordhalterin im Hosenknöpfeöffnen bei drohenden Wasserschäden, erste Anschieberin beim Velofahrenlernen, Chef- «Zusammenläserin» unterhalb der Skischanze, Überwasserhalterin im Schwimmbad, Einmaleinsmutter, Diktat-Orin, Guetnachtgeschichtlivorleserin und Öpfelschnitzlischnitzerin, muss ich mich langsam, aber sicher beruflich umorientieren. Meine erwähnten Kompetenzen sind nicht mehr gefragt, ja was sage ich: sie werden zwischenzeitlich sogar infrage gestellt!
Angefangen im technischen Bereich von «Mahaam! Du muesch nid esoo! Ahhh – gib mir das Ding!» (wenn ich beim Handy was einrichten will) über den Erziehungsstil («Du bist überhaupt zu wenig konsequent mit den Zwillingen! Also wenn das meine Kinder wären …») oder das Zeitgefühl («Es ist unmöglich, dass die Bildschirmzeit abgelaufen ist!») bis hin zur Alltagsbewältigung an der Kasse des Grossverteilers: «Du musst die Karte näher hinhalten, Mam!», zischt das Pubertier. «Ja, ja, i chume ja …!», entfährt es mir. Die Verkäuferin an der Kasse wirft mir einen amüsierten, aber immerhin mitfühlenden Blick zu, den ich mit müdem Augenaufschlag dankbar er widere.
Ab in die Tiefgarage und weiter gehts mit dem Auto durch die Bundeshauptstadt Richtung Autobahn. «Es isch de rot.» Die Ampel ist noch kaum in Sichtweite. Der Augenarzt hat mir vor einigen Tagen eine aussergewöhnliche Sehschärfe attestiert, und eine drohende Farbenblindheit hat er mit keinem Wort erwähnt! Und wer trägt von uns beiden eigentlich eine Brille? «Eben. Ich sagte ja bereits, es isch de rot!», kommt die prompte Antwort.
«Können wir dann mal los, Mama?», holt mich Zwilling A gedanklich in die Garderobe zurück. «Ja, klar, gib mir doch bitte noch meine Maske aus der Schublade. Auf dem Eisfeld gilt nämlich Maskenpflicht für Erwachsene.» Da erhellt sich die Miene von Zwilling B plötzlich: «Mama, du kannst trotzdem mitspielen! Wenn wir Glück haben, bemerkt ja mit Maske niemand, dass du eine Mutter bist!»
Lass mal, Sohn, ich erarbeite mir gerade einen neuen Kompetenzenkatalog – angefangen bei der Pirouette.
ANDREA BALMER-BEETSCHEN
ANDREA.BEETSCHEN@BLUEWIN.CH