«Rasche und unkomplizierte Hilfe – genau das wollen wir leisten»
04.03.2022 KanderstegUKRAINE Verschiedene Gemeinden und Privatpersonen wurden in den letzten Tagen aktiv und setzten ein Zeichen gegen den Krieg in der Ukraine. So auch in Kandersteg. Am Mittwochabend fand eine Solidaritätskundgebung statt.
KATHARINA WITTWER
«Was in der Ukraine ein grössenwahnsinniger Mörder tut, kann und darf nicht ohne eingreifende Sanktionen geahndet werden …», postete René Maeder am 26. Februar auf Facebook. Die Meinung des Kandersteger Gemeinderatspräsidenten repräsentiert die Gefühle vieler Menschen. Statt sich in Ohnmacht und Wut zu suhlen und zu hoffen, «die anderen» würden schon helfen, wurde er selber aktiv. «Wir beherbergten schon vermehrt ukrainische Gäste in unserem Haus. Allein das ist Grund genug, zur Tat zu schreiten!», so Maeder.
«Als ich Maeders Post gelesen hatte, doppelte ich nach, bot auf diesem Kanal Zimmer für Flüchtlinge an und kontaktierte meinen Kollegen», erzählt Nico Seiler vom Hotel Alfa Soleil. Erst geschah nichts, doch Anfang Woche geriet der Stein so richtig ins Rollen. Seiler erhielt einen Telefonanruf von einer Schweizerin mit ukrainischen Wurzeln, die in Eigenregie und mithilfe ihres Netzwerkes eine private Hilfsaktion lanciert hatte.
«Das Gespräch hat mein Leben verändert»
Erschüttert erzählt der Hotelier, wie komplett verängstigt, verzweifelt und panisch die Frau unter Tränen um Hilfe flehte. «Dieser Anruf hat mein Leben verändert. Ich musste handeln, obwohl ich am Anschlag bin, das Hotel komplett belegt ist und ständig neue Buchungsanfragen eingehen.» Kurz darauf erhielt Seiler von dieser Kontaktperson eine Wunschliste für Hilfsgüter und Material für die Männer, die teilweise in Turnschuhen und Zipfelmützen ihre Heimat zu verteidigen versuchen. Auch wenn der Bund den Export von Material zur Verteidigung der Zivilpersonen von privater Seite nicht erlaubt (siehe Link am Ende des Artikel auf S.2), blieb immer noch ein eindrücklicher Katalog. Zudem wurde ihm mitgeteilt, dass die ersten zwei Personen bereits am Mittwochabend in Kandersteg eintreffen und tags darauf eine Grossfamilie, die drei Generationen umfasst.
BürgerInnen nutzten ihre Netzwerke
Einem Stein gleich, der ins Wasser geworfen wird, und die Wellen immer grössere Kreise ziehen, so nutzten mehr und mehr KanderstegerInnen ihr Beziehungsnetz und stiessen überall auf Hilfsbereitschaft. Der Samariterverein, der Dorfarzt Hendrik Pilz und die Verantwortlichen des Spitals Frutigen lieferten medizinisches Material, das in einer Nacht- und Nebelaktion fein säuberlich verpackt zur Abholung bereitgestellt wurde. «Die Rechnung dafür begleichen wir später», so die Initianten.
Ins Boot geholt wurden auch die Gemeinde, Kirchgemeinden und Freikirchen. Die Angestellten des Tourismusbüros schrieben sämtliche Vermieter und Besitzer von Ferienwohnungen an und baten um Wohngelegenheit. Für die Abholung von Flüchtenden mit Cars suchte man Kontakt beim Schweizerischen Nutzfahrzeugverband ASTAG. Aktuell stellen die Hotels Doldenhorn, Alfa Soleil und Ermitage Zimmer zur Verfügung. Auf der Gemeinde gehen laufend Angebote für Unterkünfte ein. In Abklärung sind die komplett ausgerüstete und heizbare Militärbaracke sowie die konkursite Gemmi Lodge.
Die Solidarität ist gross
Die Medienmitteilung des Regierungsrates vom Mittwoch (siehe Artikel nebenan) war Wasser auf die Mühlen der Kandersteger. «Rasche und unkomplizierte Hilfe – genau das wollen wir leisten», betont René Maeder. Die Gesamtkoordination liegt bei der Gemeindeverwaltung, die auch ein Spendenkonto eingerichtet hat. Das Geld wird primär vor Ort eingesetzt. Bleibt etwas übrig, wird es zweckgebunden weitergeleitet. Eine Task Force – Anlaufstelle für die Neuankömmlinge – wurde ins Leben gerufen. Was alles in ihren Aufgabenbereich gehört, ist allerdings noch unklar.
Die in Kandersteg verheirateten Russinnen und Ukrainerinnen sind selbst vom Krieg betroffen, sorgen sich um ihre Angehörigen in der Heimat. Vor Ort leisten sie wertvolle Übersetzungsdienste. «In einem weiteren Schritt werden Psychologen und Traumatherapeuten benötigt», erwägt Seiler. Ob und in welcher Frist solche Fachpersonen zur Verfügung stehen, ist ungewiss.
KATHARINA WITTWER
Spendenkonto der Gemeinde Kandersteg
IBAN-Nr. CH 89 0878 4032 7902 7812 0 Der QR-Code ist auf der Website der Gemeinde Kandersteg zu finden. Einzahlungsscheine können persönlich, telefonisch (Tel. 033 675 82 22) oder via E-Mail (info@gemeindekandersteg.ch) bezogen werden.
SRF-Beitrag zum Thema:
www.srf.ch/news/schweiz/krieg-in-derukraine-westen-helme-waermebildkamerasbund-unterbindet-private-hilfe">https://www.srf.ch/news/schweiz/krieg-in-derukraine-westen-helme-waermebildkamerasbund-unterbindet-private-hilfe
«Ein Licht für den Frieden»
Unter diesem Motto fanden sich am Mittwochabend gegen 200 Personen – Einheimische und Urlauber – zu einer Solidaritätskundgebung auf dem Bahnhofplatz ein. In einer Hau-Ruck-Aktion, unterstützt von der Gemeinde, der reformierten Kirchgemeinde Kandergrund-Kandersteg und der katholischen Kirchgemeinde Frutigen, wurde sie innerhalb von 30 Stunden auf die Beine gestellt.
«Ich bin überwältigt und zutiefst berührt, dass so viele Menschen ihre Solidarität bezeugen.» Mit diesen Worten begrüsste die Gemeindepräsidentin Barbara Jost die Anwesenden. René Maeder hob hervor, dass die meisten von uns in einer Zeit ohne Krieg im nahen Ausland aufgewachsen sind. «Die Tragödie, die nur wenige Flugstunden von hier passiert, ist für uns nicht nachfühlbar.» Er warnte davor, die Wut auf den grössenwahnsinnigen Despoten auf die weitgehend unschuldige russische Bevölkerung zu übertragen. Wer sich zu wehren wage, müsse mit bis zu mehreren Jahren Gefängnis rechnen. «Russische Freunde und Stammgäste haben uns angerufen. Sie schämen sich zutiefst für ihren Präsidenten und dessen Taten.»
Die Feuer und Kerzen, die vor Ort angezündet wurden, sollen für die Demokratie, das friedliche Zusammenleben aller Menschen und für die gegenseitige Akzeptanz und Wertschätzung brennen. Zur stillen Einkehr läuteten am Ende der emotionalen Kundgebung die Kirchenglocken.
WI