«Wie ein Sechser im Lotto»
08.03.2022 SportVELOSPORT Joël Suter mischt in der höchsten Radrennfahrer-Liga mit. Als Neuling im Team muss er sich vorerst profilieren und beweisen, dass er seiner Aufgabe als «Helfer» gerecht wird.
KATHARINA WITTWER
Die letzten beiden Jahre waren nicht einfach für Joël ...
VELOSPORT Joël Suter mischt in der höchsten Radrennfahrer-Liga mit. Als Neuling im Team muss er sich vorerst profilieren und beweisen, dass er seiner Aufgabe als «Helfer» gerecht wird.
KATHARINA WITTWER
Die letzten beiden Jahre waren nicht einfach für Joël Suter. In dieser Zeit stand er beim belgischen Profiteam «Bingoal» unter Vertrag. Dieser lief Ende 2021 aus. Wegen Corona fielen viele Rennen aus, was nicht nur für Suter schwierig war. Erstmals machte der ambitionierte Sportler aus Wengi an den letztjährigen Schweizer Rundfahrten «Tour de Romandie» und «Tour de Suisse» auf sich aufmerksam. Im August zog er sich bei einem Sturz eine langwierige Knieverletzung zu. Das Jahr neigte sich dem Ende zu und er wusste nicht, wie es weitergehen sollte. Er konnte entweder als Amateur in ein drittklassiges Team gehen oder auf ein Angebot in der Topliga hoffen. In letzter Minute ging sein Traum in Erfüllung: Er wurde ins «UAE Team Emirates» geholt. Dort stehen unter anderem der letztjährige «Tour de France»-Sieger Tadej Pogacar und der Ittiger Marc Hirschi unter Vertrag. «In der höchsten Liga fahren zu können, ist fast wie ein Sechser im Lotto», freut sich Suter.
Nur sechs Wochen im Jahr zu Hause
Nach Trainingslagern auf Mallorca Anfang Jahr klassierte er sich beim ersten Rennen dieser Saison auf Rang zwei. Bereits nach zwei weiteren Rundfahrten musste er wegen einer Corona-Infektion drei Wochen pausieren. Inzwischen fühlt er sich wieder fit und freut sich, einen Grossteil seiner vorgesehenen 77 Renntage bis Mitte November bestreiten zu können. Die meisten Rundfahrten finden in Europa statt, einige in Kanada und neu auch in den Arabischen Emiraten. «Viel Zeit benötigt das Reisen von einem Austragungsort zum nächsten. Oft fliegen wir, fahren mit dem Teambus, mit dem eigenen Auto oder in die Nachbarländer sogar mit dem Zug.» Addiert er die Tage, die er zu Hause in Wengi verbringt, kommt Suter auf maximal sechs Wochen pro Jahr.
Trainieren ja – aber nicht zu viel
Im Gegensatz zu anderen Sportlern trainiert er fast nur auf seinem Sportgerät. Hinzu kommen einige Übungen zur Stabilisation der Rumpfmuskulatur. «Ich darf keinesfalls an Muskelmasse zulegen. Im Verhältnis zu meiner Körpergrösse von 190 cm bin ich mit meinen 75 kg nämlich zu schwer. Jedes überschüssige Kilo, das man bergauf schleppen muss, ist eines zu viel!»
Wegen seiner Statur liegt es auf der Hand, dass der 23-Jährige keine Bergetappe gewinnen wird. Auch flache Rennen entsprechen ihm nicht. «Ich habe am liebsten kupierte Strecken, abwechslungsweise mit kurzen, flachen Stücken und Berg- und Talfahrten.» Von zu Hause aus radelt er gerne rund um den Thunersee. Für die 80 Kilometer benötigt er etwa zweieinhalb Stunden.
Der Radsport hat komplizierte Regeln
Ein Profi-Radsportteam besteht aus 30 Sportlern. Eine Handvoll Coaches trainiert einige Spitzenfahrer. Alle anderen sind sogenannte Helfer, zu denen auch Suter gehört. «Unser Job ist es, während eines Rennens den im Voraus bestimmten Leader zu unterstützen und abwechslungsweise an der Spitze des Feldes zu fahren. Im Windschatten spart der Leader Kraft, die er im Schlussspurt einsetzt und mit der er idealerweise als Erster über die Ziellinie fährt», erklärt der Profi. In seiner ersten Saison muss Suter seine Rolle finden. Natürlich hofft er, sein Potenzial zeigen zu können. Gelingt ihm das, erhält er vielleicht die Chance, ein kleines Rennen zu gewinnen. «Ob wir in der Rangliste auf Position 56 oder 103 aufgeführt werden, ist bei uns Helfern absolut irrelevant und sagt auch nichts aus. Hauptsache, das Teamresultat kann sich sehen lassen.»
Meistens finden drei Rennen zur gleichen Zeit statt – hochkarätige und kleinere oder auch eintägige. Der Veranstalter gibt vor, ob sieben oder acht Teilnehmer aus dem gleichen Team antreten dürfen. Es ist vorgesehen, dass Suter an der Tour de Romandie und an der Tour de Suisse starten darf. Der Giro d’Italia und die Tour de France liegen für den Nachwuchsfahrer noch in weiter Ferne.
Joël Suter liebt den Radsport. Seine ersten Rennen hatte er schon bestritten, bevor er zur Schule ging – damals noch mit dem Mountainbike. Während der Schulzeit versuchte er sich im Laufsport und bestritt Langlaufrennen. Erst während der Lehre zum Zweiradmechaniker wechselte er endgültig aufs Rennrad. Diese Entscheidung hat er noch keine Sekunde bereut.