Genug Tierwohl – oder zu wenig?
18.03.2022 WirtschaftLANDWIRTSCHAFT Die Initiative gegen Massentierhaltung findet in der Politik wenig Anklang: Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat sie abgelehnt – ebenso wie den direkten Gegenvorschlag des Bundesrats. Branchenvertreter reagieren sehr unterschiedlich darauf.
BIANCA ...
LANDWIRTSCHAFT Die Initiative gegen Massentierhaltung findet in der Politik wenig Anklang: Nach dem Nationalrat hat auch der Ständerat sie abgelehnt – ebenso wie den direkten Gegenvorschlag des Bundesrats. Branchenvertreter reagieren sehr unterschiedlich darauf.
BIANCA HÜSING
Die Würde landwirtschaftlicher Nutztiere soll verfassungsrechtlich geschützt werden – so fordert es die 2019 eingereichte Volksinitiative «Keine Massentierhaltung in der Schweiz». Zum Wohl der Tiere solle der Bundesrat Kriterien für deren Auslauf, Unterbringung und Pflege sowie für die Gruppengrösse pro Stall festlegen und sich dabei an den Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 orientieren. Auch für den Import von Lebensmitteln verlangen die Initianten entsprechende Vorschriften.
Der Bundesrat teilt zwar die Stossrichtung der Initiative, schlägt aber andere Massnahmen vor. Weder will er die Tierbestände einschränken, noch Bio-Suisse-konforme Regeln für die Einfuhr tierischer Produkte erlassen. Drei Aspekte aus der Initiative hat die Landesregierung hingegen in ihren Gegenvorschlag einfliessen lassen: die tierfreundliche Unterbringung und Pflege, den regelmässigen Auslauf sowie die schonende Schlachtung. In einem Punkt geht der Vorschlag sogar weiter: Statt nur Nutztiere zu berücksichtigen, will der Bundesrat das Wohlergehen aller Tiere in der Verfassung verankern.
Die Qualität ist entscheidend
Weil das Parlament jedoch sowohl die Initiative als auch den Gegenvorschlag ablehnt, wird Letzterer nie vors Volk gelangen. Stattdessen wird allein über die Massentierhaltungsinitiave abgestimmt – voraussichtlich noch in diesem Jahr.
Dass der Schweizer Bauernverband (SBV) die Haltung von National- und Ständerat begrüsst, ist keine Überraschung. In einer Medienmitteilung kommentiert er: «Der Gegenvorschlag legte einen völlig anderen Fokus und hätte vor allem die Tierhaltung im Berggebiet hart getroffen.» Die Initiative selbst sei unnötig, da sich die Schweiz durch ein extrem hohes Tierwohl-Niveau bei der Nutztierhaltung auszeichne. Der SBV verweist auf eine Studie der Tierschutzorganisation Nutztiergesundheit Schweiz, derzufolge kein Zusammenhang zwischen Gruppengrösse und dem Wohlergehen der Tiere bestehe. Nicht auf die Zahl komme es an – sondern auf die Qualität. Der SBV lehnt die Massentierhaltungsinitiative ab mit der Begründung, sie «würde die inländische Produktion schwächen, die Wahlfreiheit einschränken, Importe sowie Einkauftourismus befeuern und die Preise für tierische Lebensmittel in die Höhe treiben».
Systemwechsel gefordert
Ganz anders sieht das naturgemäss die Kleinbauernvereinigung (VKMB). Ihr Fazit: «Die bürgerliche Mehrheit des Ständerats ignoriert die bestehenden Probleme in der Nutztierhaltung.»
Durch die Ablehnung der Initiative und des Gegenvorschlags würden sich die Parlamentarier einem Anliegen verweigern, das in der Gesellschaft immer mehr Unterstützung finde. Aus Sicht der VKMB braucht es einen Systemwechsel in der Nutztierhaltung. «Die aktuelle Tierproduktion mit Hochleistungszucht und Massentierhaltung geht in die falsche Richtung.» Anzustreben sei eine bäuerliche Lebensmittelproduktion, die sowohl die Gesundheit und das Wohl der Tiere als auch die Umwelt schütze. Davon hätten nicht zuletzt auch die Landwirte selbst etwas. Aber: «Die Politik will nicht – nun muss es das Stimmvolk richten», so die Kleinbauernvereinigung.
Welcher Sichtweise sich die Schweizerinnen und Schweizer anschliessen, wird sich wahrscheinlich im September oder November zeigen.