SCHLUSSPUNKT – Wir haben die Wortwahl
11.03.2022 KolumneWIR HABEN DIE WORTWAHL
Wer in Russland die Wahrheit sagt, lebt gefährlich. Ein jüngst verabschiedetes Gesetz verbietet die Verbreitung kritischer Äusserungen zum Krieg in der Ukraine. Begriffe wie «Invasion», «Angriff» oder «Kriegserklärung» dürfen nicht mehr verwendet werden, um das russische Vorgehen im Nachbarland zu beschreiben. Verstösse gegen das Gesetz werden mit Haftstrafen von bis zu 15 Jahren belegt.
Gleichzeitig werden unabhängige Fernsehsender, Radios und Zeitungen reihenweise zum Schweigen gebracht, ausländische Berichterstatter Innen verlassen nach und nach das Land. Die Staatsmedien übernehmen damit das Informationsmonopol und nutzen dieses, um ein ganz eigenes Bild der Lage zu zeichnen: Russland agiert demnach als Befreier einer von Nazis geführten Ukraine.
Waldimir Putin formt aus seinem Land zurzeit eine totalitäre Diktatur, zu deren Merkmalen die konsequente Unterdrückung der Meinungsfreiheit und die Verfolgung Andersdenkender gehören.
«Staatsmedien», «Einheitsbrei», «Diktatur» – noch vor kurzer Zeit kursierten diese Begriffe auch in der Schweiz. Die Absender wollten mit solchen Schlagworten ihrer Unzufriedenheit über die Corona-Politik des Bundesrates oder die Medienberichterstattung über die Pandemie Ausdruck verleihen. Die Geschehnisse in Russland sollten nun auch ihnen die wahre Bedeutung dieser Begriffe aufzeigen.
Ich will den Krieg in der Ukraine nicht instrumentalisieren, um rückwärtsgewandte Kritik zu üben. Erstens äusserte ich diese Kritik schon vorher. Und zweitens ist meine Botschaft zukunftsgerichtet: Denn die nächste medienpolitische Abstimmung ist absehbar, mittels Volksinitiative soll das Budget der SRG gekürzt werden. Wir haben in unserem Land glücklicherweise die freie Wortwahl, und wir sollten dieses Privileg schätzen, indem wir es verantwortungsvoll nutzen. Ich wünsche mir, dass die bevorstehende Debatte auch ohne die oben erwähnte Rhethorik auskommt. Sie ist nicht nur unbedarft, sondern unter den gegebenen Umständen auch zynisch.
JULIAN ZAHND
J.ZAHND@FRUTIGLAENDER.CH