AUGEN ZU BEIM TANKEN
Es soll ja Menschen geben, die sich zeitlebens von Nachrichten fernhalten – sei es aus Desinteresse oder schlicht aus Selbstschutz. Doch an einem Punkt kann niemand mehr der Realität entkommen: beim Einkaufen. An den Supermarktregalen lässt sich gut ...
AUGEN ZU BEIM TANKEN
Es soll ja Menschen geben, die sich zeitlebens von Nachrichten fernhalten – sei es aus Desinteresse oder schlicht aus Selbstschutz. Doch an einem Punkt kann niemand mehr der Realität entkommen: beim Einkaufen. An den Supermarktregalen lässt sich gut ablesen, was auf der Welt gerade so los ist. Als uns Corona in die eigenen vier Wände verdammte, wurden WC-Papier und Mehl zu Luxusgütern. Computer und Smartphones waren plötzlich kaum mehr zu bekommen, weil es an Mikrochips mangelte.
Heute ist vor allem das Speiseöl knapp, denn: Drei Viertel aller weltweiten Sonnenblumenöl-Exporte kommen aus der Ukraine und aus Russland. Hamsterer nutzen die Gunst der Stunde und reichern ihre Klopapiervorräte mit Öl an, bevor es unbezahlbar wird. In Deutschland ist das Ganze so ausgeartet, dass Supermärkte jetzt maximal vier Flaschen Öl pro Kunde herausgeben – wenn sie überhaupt noch welches haben. Die Schweiz ist aktuell zwar gut versorgt. Aber wie das mit Trends eben so ist: Die schlechtesten setzen sich früher oder später durch.
In beiden Ländern bereits angekommen ist auch eine andere Ölkrise, nämlich die an den Zapfsäulen. Benzin und Diesel sind so teuer geworden, dass manch ein Hamsterer inzwischen Speiseöl in den Tank kippen soll. Auch wenn das nur ein Gerücht ist: Es gibt tatsächlich mehr oder weniger intelligente Arten, mit der Krise umzugehen. Während die Schweizer offenbar den Individualverkehr reduzieren wollen, wird in Deutschland mit Autokorsos demonstriert. Klingt logisch: Mehr Sprit verballern, um gegen die Spritkosten anzukämpfen. Auch in den USA ist Verzicht offenbar keine Option. Dort offerierte ein reicher Geschäftsmann kürzlich Tankfüllungen im Gegenwert von 200 000 Dollar – und löste damit Staus aus.
Am sympathischsten aber reagierte ein alter Tankwart in Bayern. Weil seine Zapfsäulen aus den 1970er-Jahren die hohen Beträge nicht mehr anzeigen können, hat er sie jetzt einfach auf den halben Preis eingestellt. Zahlen muss man zwar den vollen – trotzdem sind seine Kunden nun überaus gut gelaunt. Es ist wohl wie mit den Nachrichten: Wer nur die halbe Wahrheit kennt, fühlt sich manchmal besser.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH