Vor 75 Jahren kam das Feuer
15.03.2022 AdelbodenJahrzehntelang war das «Grand Hotel» eines der grössten und prachtvollsten Häuser im Ort – bis es am 19. März 1947 restlos niederbrannte. Rückblende auf ein beein druckendes Stück Tourismusgeschichte.
TONI KOLLER
Die Frühzeit des Fremdenverkehrs in Adelboden ...
Jahrzehntelang war das «Grand Hotel» eines der grössten und prachtvollsten Häuser im Ort – bis es am 19. März 1947 restlos niederbrannte. Rückblende auf ein beein druckendes Stück Tourismusgeschichte.
TONI KOLLER
Die Frühzeit des Fremdenverkehrs in Adelboden war reich an luxuriösen Herbergen: das «Kulm-Hotel Kurhaus» hinter dem Busbahnhof, das «National» an der Stelle der heutigen Lohnerhof-Häuser, das «Nevada Palace». Alle sind sie ersatzlos untergegangen, wurden abgefackelt, abgebrochen oder von den Eigentümern heruntergewirtschaftet – geschichtsträchtige Opfer der Nachkriegskrise oder des Zweitwohnungsbooms in den 50er- und 60-Jahren. Das wohl bedeutendste unter den verschwundenen Hotels aber war das «Grand Hotel».
Pionierleistungen
Wer in den 1960er-Jahren in Adelboden aufgewachsen ist, erinnert sich vielleicht an das Schwimmbad, das damals noch – natürlich längst ohne Wasser – auf dem heutigen Sportplatz unterhalb des Sekundarschulhauses zu sehen war. Der grosszügige Swimmingpool stammte aus dem Jahr 1928; er war – noch vor dem Gruebi-Bad – der erste seiner Art im Ort. Und er war der letzte greifbare Zeuge der einstigen «Grand Hotel»-Anlage.
Auch sonst nahm das Hotel mit seiner Infrastruktur eine Führungsrolle ein: Es verfügte über einen eigenen Landwirtschaftsbetrieb, eine eigene Metzgerei und Schreinerei sowie über einen Fuhrhalterbetrieb, um – zumindest vor dem Aufkommen des Busverkehrs 1917 – die Gäste per Pferdekutsche am Frutiger Bahnhof abzuholen.
Überdies konnte sich das «Grand Hotel» rühmen, im Jahr 1903 als erstes die elektrische Beleuchtung eingeführt zu haben (wobei die Strom- und Wasserversorgung, Vorläuferin des heutigen LWA, ein gemeinsames Unternehmen aller Hotels war. Die übrigen Häuser dürften also wenig später auch Strom erhalten haben).
Ein Hotelier mit Expansionsdrang
Am Ursprung des formidablen Hotels stand der gebürtige Lauterbrunner Emil Gurtner. Nach etlichen Jahren als Pächter eines Hotels in Unterseen wechselte er im Jahr 1894 nach Adelboden, wo er zunächst die Pension «Wildstrubel» erwarb (das Gebäude an der Landstrasse existiert noch heute). Doch Gurtner war – in den Worten seines Enkels Peter Gurtner – «ein Abenteurer, ein Mann der Tat, sehr innovativ, und er hatte Visionen». So erbaute er in den Folgejahren jenseits der Landstrasse das «Grand Hotel»: einen wahren Palast erster Klasse mit 140 Zimmern, Zentralheizung und hydraulischem Lift. Dazu gesellte sich auf der «Gurtnermatte» nach und nach eine Aussenanlage, die ihresgleichen suchte: fünf Tennisplätze für den Sommer, eine Eisbahn mit Tribüne für den Winter, dazu für Publikum und Hotelgäste ein schicker Pavillon mit Bar und Pianomusik – und nicht zu vergessen das bereits erwähnte Schwimmbad.
Die allererste Wintersaison
Die Adelbodner Feriengäste jener Zeit stammten grossenteils aus England. Um ihren Ansprüchen zu genügen, baute Emil Gurtner eigens eine englische Kirche (in der heute das Heimatmuseum untergebracht ist). Er verstand es, englische Touristen in grosser Zahl anzulocken: In Zusammenarbeit mit dem Reiseveranstalter Henry Lunn brachte er 1902 / 1903 um die 400 wintersportverrückte Britinnen und Briten in den Ort, besorgte ihnen Schlittschuhe, Ski und Bobsleighs – es war Adelbodens allererste Wintersaison.
Es folgten die Krisenjahre des Ersten Weltkriegs und die glaumourösen Zwischenkriegsjahre, die Emil Gurtner allerdings nicht mehr erlebte. Unerwartet früh verstarb er 1920. Nun lag das Management in den Händen seiner ebenso energischen, tatenfreudigen Witwe Katharina Gurtner, die das renommierte Hotel erfolgreich durch die 1920er- und 1930er-Jahre führte. Das luxuriöse Hotelleben und die Schönheit der Adelbodner Landschaftskulisse sind in einem Werbefilm nachzuvollziehen, den das «Grand Hotel» 1931 drehen liess und der heute restauriert in der Cinémathèque suisse in Lausanne liegt.
Der verheerende Brand
Den Zusammenbruch des Tourismus im Zweiten Weltkrieg überstand das «Grand Hotel» – wie viele andere Unterkünfte – dank britischer und amerikanischer Internierter, welche die Eidgenossenschaft ab 1943 in Adelboden unterbringen liess. 1946 beherbergte das Rote Kreuz hier erholungsbedürftige ausländische Kinder. Daraufhin sollte es mit dem «Grand Hotel» in alter Grösse weitergehen. Doch dann kam der fatale 19. März 1947: Die letzten Wintergäste waren soeben ausgezogen – und ab sieben Uhr abends ging das prächtige Haus in rasendem Tempo in Flammen auf. Bis am nächsten Morgen resultierte ein Totalschaden: Die rasch angerückte Feuerwehr vermochte nur noch die umgebenden Bauten zu schützen. Verletzt wurde niemand.
Erst verhaftet – dann für unschuldig befunden
Manche denken in solchen Fällen unvermittelt an einen «warmen Abbruch»: Brandstiftung zwecks Erschleichen von Versicherungsgeldern. Auch die Gurtners gerieten in die Mühlen der Justiz; Katharina und ihr Sohn Emil jun. wurden in Untersuchungshaft genommen. Doch im Sommer 1952 hat sie das Amtsgericht in Frutigen von sämtlichen Vorwürfen freigesprochen und entschädigt. Ohnehin war beim «Grand Hotel»-Brand keine betrügerische Absicht naheliegend: «Nach Kriegsende hat Katharina Gurtner ihren Sohn Emil jun. nach Adelboden zurückgerufen», weiss Enkel Peter. Zusammen mit ihrem Sohn wollte die Mutter das Hotel zu neuem Leben erwecken. Hierfür weilte Emil am Tag des Feuers in London, um alte touristische Verbindungen aufzufrischen. Auch waren im Winter 1947 im Hotel umfangreiche Renovationsarbeiten im Gang, 300 000 Franken waren bereits investiert. Aber eben: «Wegen eines Schwelbrands, ausgelöst durch Schweissarbeiten, brannte das Haus am 19. März letztlich bis auf die Grundmauern nieder.»
Neubaupläne
Dabei wollten es die Gurtners zunächst nicht bewenden lassen. Emil jun. – inzwischen Hotelier am Thunersee – und Katharina planten laut Peter Gurtner 1954 bis 1956 intensiv den Neubau des «Grand Hotels» Adelboden. Architekt Höhn in Thun zeichnete die Pläne.
Die Finanzierung wäre, wie aus den Akten hervorgeht, eigentlich möglich gewesen. Das finanzielle Risiko erschien Emil jun. aber dann doch zu gross. Aus diesem Grund wurde er als Hotelier mit seiner Frau lieber in Zürich tätig, derweil die mittlerweile 80-jährige Katharina Gurtner 1956 an ihrem Wohnort Adelboden verstarb. Dies die Aussagen des Familiensprosses und Arztes Peter Gurtner, der in Unterseen lebt. Seine persönliche Erinnerung an das «Grand Hotel»: «Auf dem Landwirtschaftsbetrieb des Hotels neben dem Schulgässli, etwas oberhalb des Aris, durfte ich ab und zu die Hühner füttern.» Damals, um 1945, war er noch ein Kind. Der Hühnerstall hat die Feuersbrunst von 1947 übrigens unbeschadet überstanden.
Hotels brennen gut
Nebst dem «Grand Hotel» standen über die Jahrzehnte weitere Adelbodner Hotels in Flammen:
• «Bellevue» (1931) – Totalschaden, gefolgt vom Ersatzneubau im Stil der klassischen Moderne;
• «Kulm-Kurhaus» (1957) – vom Militär gesprengt und kontrolliert abgebrannt – Abbruch;
• «Regina» (1987) – Dachstock und Obergeschoss zerstört, gefolgt von einem Ersatzneubau im Stil des Originals, heute «The Cambrian»;
• «Nevada Palace» (1996) – Dachstock und Obergeschoss zerstört, Wiederaufbaupläne wurden fallengelassen – Abbruch 2001
In keinem dieser Fälle erkannten die Behörden eine Brandstiftung; die Ursachen waren jeweils technischer Art. Niemand wurde je ernsthaft verletzt.
TK
Quellen zum Artikel:
• Adelbodenbuch Band 2, 2016
• Dr. Peter Gurtner (Enkel des Hotelgründers): Die Saga der Hoteliersfamilie Gurtner, in: Adelbodmer Hiimatbrief Nr. 81, 2020
• Oberländer Tagblatt, 23. August 1952