Wenn zu viele Kopfwehpillen Kopfschmerzen auslösen
18.03.2022 GesundheitWen das Kopfweh plagt, der fühlt sich an solchen Tagen wie ein halber Mensch. Schmerzmedikamente versprechen rasche Linderung. Was bei gelegentlicher Einnahme unproblematisch ist, kann bei Übergebrauch zu chronischen Kopfschmerzen führen.
Wer kennt sie nicht aus eigener ...
Wen das Kopfweh plagt, der fühlt sich an solchen Tagen wie ein halber Mensch. Schmerzmedikamente versprechen rasche Linderung. Was bei gelegentlicher Einnahme unproblematisch ist, kann bei Übergebrauch zu chronischen Kopfschmerzen führen.
Wer kennt sie nicht aus eigener Erfahrung: lästige Kopfschmerzen nach einer ausgiebigen Feier, bei Föhn, nach zu langer geistiger Anstrengung oder als Vorboten einer Erkältung? Selbst wenn sie nur sporadisch auftreten, stellen sie störende und unangenehme Einschränkungen im Beruf und im Privatleben dar. Wohl in keiner Hausapotheke fehlt ein Schmerzmittel, das die Quälgeister im Kopf vertreiben soll – was es in der Regel auch zuverlässig tut.
Gemäss der letzten Schweizerischen Gesundheitsbefragung von 2017 nimmt jede vierte Person mindestens einmal pro Woche ein Schmerzmittel ein (24 Prozent der Befragten). Über die letzten 20 Jahre hat dieser Wert um über 40 Prozent zugenommen. Bei Frauen liegt der Konsum deutlich höher (28,9 Prozent) als bei Männern (18,5 Prozent). Schmerzmittel sind somit die am meisten eingenommenen Medikamente und liegen deutlich vor den Mitteln gegen Bluthochdruck, die auf Platz zwei folgen.
Medikamente mit den Wirkstoffen Paracetamol, Ibuprofen, Acetylsalicylsäure, Diclofenac oder Naproxen gehören zu den am häufigsten verwendeten Schmerzmitteln in der Selbstmedikation. Die einfache Verfügbarkeit von Kopfwehmitteln sollte jedoch nicht dazu verleiten, sie als harmlose Medikamente zu unterschätzen.
Problem: Übergebrauch
Kopfschmerzen zählen zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden und können grundsätzlich jeden Menschen in jedem Alter betreffen – auch Kinder. Die beiden häufigsten Arten sind der Spannungskopfschmerz und die Migräne (siehe Kasten). Fast jede und jeder leidet vermutlich im Laufe des Lebens einmal an Spannungskopfschmerzen; bei schätzungsweise über 30 Prozent treten sie wiederkehrend auf. Von einer Migräne sind Frauen fast doppelt so häufig betroffen (etwa 14 Prozent) wie Männer (7 Prozent).
Der kurzfristige Einsatz von Schmerzmedikamenten (je nach Substanz liegt die Limite bei drei bis fünf Tagen) gegen gelegentliche Kopfschmerzen ist im Grunde unproblematisch, wenn die geltenden Hinweise, Vorsichtsmassnahmen und Gegenanzeigen beachtet werden.
Falsch dosiert und vor allem bei regelmässiger Einnahme bergen jedoch auch die vermeintlich unproblematischen Präparate ihre Gefahren. So paradox es klingt: Wer häufig an Kopfschmerzen oder an Migräne leidet und über längere Zeit zu viele Schmerzmittel schluckt, kann mit der Zeit einen Übergebrauchskopfschmerz kriegen, der die Grundkrankheit überlagert (sekundärer Kopfschmerz).
Wo liegt die Ursache?
Beim sogenannten Medikamentenübergebrauchskopfschmerz (MÜKS) oder medikamenteninduzierten Kopfschmerz (MIKS) kommt es zu einem Teufelskreis. Chronische Kopfschmerzen führen zu vermehrter Einnahme von Schmerzmitteln, mit zunehmend schlechterem Ansprechen auf deren Wirkung. In der Folge wird die weiterhin bestehende Einschränkung durch die Beschwerden wiederum mit noch mehr Schmerzmitteln «behandelt». Unter den chronischen Kopfschmerzpatienten sind bis zu 50 Prozent von einem Übergebrauchskopfschmerz betroffen. Werden klassische Schmerzmittel wie Aspirin, Paracetamol oder Ibuprofen an mehr als 15 Tagen über mindestens drei Monate hinweg eingenommen, besteht die Gefahr eines MÜKS. Dies entspricht durchschnittlich zwei bis drei Einnahmetagen pro Woche. Bei Migränemitteln (Wirkstoffgruppe: Triptane) liegt die Schwelle bereits bei zehn Einnahmetagen pro Monat.
Die typischen Symptome eines MÜKS zeigen sich häufig als Mischform von Migräne und Spannungskopfschmerz. Sie können innerhalb eines Tages vom einen Symptombild in das andere wechseln und mit der Zeit sogar in einen täglichen Dauerkopfschmerz übergehen. Zudem kann die Häufigkeit von Migräneattacken und Kopfschmerztagen zunehmen.
Professor Dr. Hartmut Göbel, Chefarzt der Schmerzklinik Kiel sowie bekannter Autor mehrerer Ratgeber und Fachbücher, hält fest: «Prinzipiell scheint jedes Medikament, das in der Akuttherapie primärer Kopfschmerzen wirksam ist, bei falscher Anwendung selbst Kopfschmerzen erzeugen zu können. Entscheidend ist dabei das Einnahmeverhalten im Zeitverlauf. Es werden sowohl schmerzmittel- als auch ergotamin- bzw. triptaninduzierte Kopfschmerzen unterschieden.»
Der Entzug ist schmerzhaft und schwierig
Wer oft unter Kopfschmerzen leidet und regelmässig Schmerzmittel schluckt, sollte sich unbedingt mit der Entstehung, Behandlung und Vorbeugung medikamenteninduzierter Kopfschmerzen auseinandersetzen. Die «10-20-Regel» hilft, diese Folgen zu vermeiden. Sie besagt, dass in einem Monat an höchstens 10 Tagen ein Schmerzmittel eingenommen werden soll und an mindestens 20 Tagen eine Pause gilt.
Wer ein Kopfwehtagebuch führt, erhält einen guten Überblick über Auslöser, Zeitpunkt, Dauer, Schwere und das Ansprechen auf eingenommene Medikamente. Unterstützend können nicht-medikamentöse Therapien und regelmässiger Ausdauersport gegen Kopfschmerzen und Migräne helfen. Das Lernen und Üben alternativer Verfahren wie progressive Muskelentspannung, autogenes Training oder Atemübungen können die Anfallshäufigkeit und Intensität der Schmerzen erheblich lindern.
Ein manifester Medikamentenkopfschmerz ist keine eigenständige Erkrankung. Die einzige Chance, dem Teufelskreis zu entkommen ist, die Medikamente abzusetzen. Dies setzt eine hohe Eigenmotivation voraus und sollte stets unter ärztlicher Begleitung geschehen, da in der Regel in den ersten Tagen massive Entzugserscheinungen und starke Schmerzen auftreten. Im besten Fall erfolgt der Entzug ambulant bei einem spezialisierten Arzt. Nach lange andauerndem Übergebrauch kann sogar eine stationäre Rehabilitation in einer Schmerzklinik nötig sein.
BEAT INNIGER, OFFIZIN-APOTHEKER FPH, ADELBODEN
Weitere Informationen zum Thema «Medikamentenkopfschmerz» finden Sie online unter: www.frutiglaender.ch/web-links.html
Die beiden häufigsten Kopfschmerzarten
Spannungskopfschmerz
• häufigste Kopfschmerzart: 90 Prozent der Menschen sind irgendwann einmal betroffen, nur bei wenigen sind die Schmerzen jedoch chronisch
• etwa 30 von 100 Personen leiden unter wiederholten Episoden
• Symptome sind dumpf, drückend oder ziehend; ein «Ring um den Kopf», ausgehend vom Nacken oder von der Stirn
• Lokalisation beidseitig (Schläfen)
• Ursache oft Muskelverspannungen im Bereich Nacken, Schulter oder Augen
• weniger einschränkend als Migräne, «Störquelle im Hintergrund»
Migräne
• anfallsartig auftretend, periodisch wiederkehrend
• Frauen leiden etwa doppelt so häufig (12 bis 14 Prozent) an Migräne wie Männer (6 bis 8 Prozent)
• Symptome pulsierend
• Lokalisation: meist nur einseitig
• häufige Begleitsymptome: Licht- und Lärmüberempfindlichkeit, Sehstörungen, Übelkeit und Erbrechen
• oft sehr einschränkend, Arbeiten schwierig
• Ursache: genetische Veranlagung, familiäre Häufung, Zusammentreffen verschiedener Auslöser (Trigger) wie hormoneller Einflüsse, Stress, Nahrungsmittel
BI
Bekannt seit der Antike, bis heute ein Kassenschlager
WISSENSCHAFT «Habe mich aufs Neue erkältet, konnte nachmittags nicht ruhen und fühle mich schlecht», notierte der Schriftsteller Thomas Mann 1918 in sein Tagebuch. «Zum Abendessen trank ich Punsch, der mir warme Füsse machte, und nahm Aspirin. Besserung.»
Schon vor mehr als 100 Jahren galt Aspirin offenbar als Wundermittel gegen viele Wehwehchen, bis heute ist der Markenname in aller Welt bekannt. Sogar auf der ersten bemannten Mondmission war das Medikament dabei. Der Astronaut Neil Armstrong hatte es vorsorglich eingepackt – gegen Muskelschmerzen.
Ein in Aspirin enthaltener Stoff ist die Salicylsäure. Deren schmerzlindernde und fiebersenkende Wirkung war schon in der Antike bekannt: Im alten Ägypten gewann man Salicylsäure aus Pflanzen, etwa aus Weidenrinde und Myrte.
Im 19. Jahrhundert wurde dann die Acetylsalicylsäure (kurz: ASS) entwickelt. Der schmerzlindernde Wirkstoff konnte nun synthetisch und in grossen Mengen hergestellt werden.
Damit begann der Siegeszug der ASShaltigen Medikamente wie Aspirin, die es heute in vielen Darreichungsformen gibt. Pro Jahr werden rund 50 000 Tonnen davon produziert. Die enorme Menge an ASS-Präparaten ist Teil des links beschrieben Teufelskreises. Die scheinbar harmlosen Tabletten sind frei erhältlich und werden deshalb allzu leichtfertig genommen – siehe Thomas Mann.
MARK POLLMEIER
Die Tagebücher von Thomas Mann, herausgegeben von Peter de Mendelssohn, sind im S. Fischer Verlag erschienen und im Buchhandel erhältlich.