Der Wolf ist im Tal angekommen
29.04.2022 Reichenbach, KientalBereits Anfang März war im Gebiet Aris ein Wolf gesichtet worden. Nun hat sich offenbar eines der Raubtiere ein Schaf geholt und ein weiteres schwer verletzt.
MARK POLLMEIER
Der Dienstag begann für Petra Megert mit schlechten Nachrichten. Eine Nachbarin informierte ...
Bereits Anfang März war im Gebiet Aris ein Wolf gesichtet worden. Nun hat sich offenbar eines der Raubtiere ein Schaf geholt und ein weiteres schwer verletzt.
MARK POLLMEIER
Der Dienstag begann für Petra Megert mit schlechten Nachrichten. Eine Nachbarin informierte sie, dass eines ihrer Schafe tot sei. Das Tier liege rund 200 Meter von seiner Weide entfernt.
Fünf Schafe hielt Petra Megert zu diesem Zeitpunkt. 2017 hatte sie die Tiere von ihrem Vater übernommen. Eine kleine Herde, die ihr am Herzen liegt.
Untergebracht sind die Schafe in Faltschen, nicht gerade mitten im Dorf, aber auch nicht ganz abgelegen. Weil es nur fünf Tiere waren, ist die Weide nicht von einem Gitter umgeben, sondern lediglich eingezäunt. So erklärt sich wohl auch, dass das tote Tier ein ganzes Stück weit entfernt lag: Vermutlich hat es in seiner Panik den Zaun überwunden und wurde dann vom Wolf gerissen.
Die Nachbarin, die es entdeckte, verständigte gleich noch den Wildhüter und begleitete die Besitzerin dann zur Weide.
«Ich bin zu 99,9 Prozent sicher»
Vor Ort zeigte sich, dass ein weiteres Tier schwer verletzt worden war. «Es hatte eine tiefe Wunde am Bein», berichtet Petra Megert. Möglicherweise hätte das Schaf überleben können, aber der hinzugerufene Tierarzt riet davon ab. Die Verletzung sei schwierig und werde, wenn überhaupt, nur schwer heilen, so seine Einschätzung. Am Ende entschied man, das Schaf von seinem Leiden zu erlösen; es wurde eingeschläfert.
Nach Meinung des zuständigen Wildhüters Paul Schmid lässt das Szenario kaum Zweifel, dass hier ein Wolf am Werk war. «Ich bin zu 99,9 Prozent sicher», sagt Schmid. Er habe die gerissenen Tiere noch einem Kollegen gezeigt, und auch der fand: «Das war ein Wolf.» Endgültige Klarheit werden die DNA-Proben bringen, die vor Ort entnommen wurden. Deren Laboranalyse dauert erfahrungsgemäss drei bis vier Wochen.
Verstärkter Herdenschutz unumgänglich
«Der Wildhüter hat sich sehr nett um alles gekümmert und auch die toten Schafe gleich mitgenommen», erzählt Petra Megert. «Dafür bin ich ihm dankbar.» Wie es mit ihren verbliebenen drei Tieren weitergeht, weiss sie noch nicht. «Vorerst bleiben sie nachts im Stall», so Megert. «Aber langfristig ist das natürlich keine Lösung.» Sie will nun mit den benachbarten Landwirten das Gespräch suchen. Auch die machen sich nach dem Vorfall Sorgen – nicht zuletzt, weil in der Gegend Kälber auf den Weiden stehen.
«Die Tierhalter werden wohl nicht drumherum kommen, den Herdenschutz zu verstärken», prophezeit Wildhüter Paul Schmid. Bisher habe man in der Gegend Glück gehabt. «Es gab relativ wenig Vorfälle mit Raubtieren, und wenn, war der Luchs dafür verantwortlich.» Mit dem Vorfall vom Dienstag hat sich die Lage geändert.
Nur gesicherte Tiere zählen
Wer den Wolf fernhalten will, wird künftig also auf Massnahmen wie Elektrozäune von mindestens 105 Zentimetern Höhe zurückgreifen müssen. «Wenn ein Wolf Nutztiere reisst, die nicht angemessen geschützt waren, werden die ihm gar nicht angerechnet», erläutert Schmid. Und das bedeutet: Es wird vonseiten der Behörden auch nichts unternommen gegen solche Beutegreifer. Erst wenn ein Wolf in einem bestimmten Zeitraum erheblichen Schaden angerichtet hat, werden die Behörden aktiv. Aber eben: Dabei zählen nur jene Nutztiere, deren Schutz den Anforderungen des Herdenschutzes entsprochen haben.
Paul Schmid ist sich bewusst, dass sich der verlangte Herdenschutz nicht überall umsetzen lässt. «In abgelegenen Gebieten ist es eine Frage des Aufwands und der Verhältnismässigkeit.»
Vor allem Tierhalter in den Bergregionen fordern deshalb seit Langem, dass der Wolfsschutz gelockert werden müsse und Abschüsse schon deutlich früher möglich sein sollen. Die Vereinigung zum Schutz von Wild- und Nutztieren vor Grossraubtieren im Kanton Bern, die diese Woche ihre HV in der Reithalle in Thun abhielt, will im Herbst eine kantonale Volksinitiative lancieren. Nach dem Vorbild der Kantone Uri und Wallis soll auch die Berner Kantonsverfassung zugunsten des Nutztierschutzes geändert werden. Welche Auswirkungen eine solche Änderung auf die Praxis hätte, ist unklar – der Umgang mit dem Wolf ist auf Bundesebene geregelt.