JUSTIZ Im Mai 2020 hat eine Sondereinheit der Kantonspolizei am Adelbodner Hörnliweg einen bewaffneten Mann in seinem Schlafzimmer erschossen. Nun ordnete das Berner Obergericht an, dass die polizeiliche Schussabgabe noch e inmal auf ihre Rechts- und Verhältnismässigkeit geprüft wird. ...
JUSTIZ Im Mai 2020 hat eine Sondereinheit der Kantonspolizei am Adelbodner Hörnliweg einen bewaffneten Mann in seinem Schlafzimmer erschossen. Nun ordnete das Berner Obergericht an, dass die polizeiliche Schussabgabe noch e inmal auf ihre Rechts- und Verhältnismässigkeit geprüft wird.
PETER SCHIBLI
Am 21. Mai 2020 war bei der Kantonspolizei Bern die Meldung eingegangen, in einem Chalet am Hörnliweg in Adelboden habe sich ein Mann verschanzt. Er verhalte sich auffällig und habe gesagt, er tue sich etwas an. Beamte der Sondereinsatzgruppe «Enzian» gingen vor Ort davon aus, dass der Mann bewaffnet war. Da eine Kontaktaufnahme mit ihm ergebnislos verlief, brachen die Beamten die Schlafzimmertür auf, wo sich laut Polizei «eine akute Bedrohungssituation» ergab. In der Folge gab ein Polizist fünf Schüsse ab. Dabei wurde der Mann getötet. Gemäss Rechtsmedizin führte ein «Kopfsteckschuss» zum Tod. Wie immer in solchen Fällen leitete die kantonale Staatsanwaltschaft für besondere Aufgaben eine Untersuchung ein. Die polizeilichen Abklärungen wurden an ein ausserkantonales Polizeikorps delegiert. Im Juli 2021 stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein. Dagegen erhoben zwei Brüder des Verstorbenen sowie dessen Mutter Beschwerde. Das Obergericht musste sich daher unlängst mit der Recht- und Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes beschäftigen.
Verdacht auf Amtsmissbrauch
Die Beschwerden gegen die Einstellung des Verfahrens hiess das Obergericht nun teilweise gut. Das Verfahren gegen den Schützen wegen vorsätzlicher Tötung und Amtsmissbrauchs sei wieder aufzunehmen, ebenso dasjenige gegen die beiden weiteren Polizisten wegen fahrlässiger Tötung. Bei allen drei Beschuldigten steht zudem der Verdacht des Amtsmissbrauchs im Raum. Nach allfälligen weiteren Ermittlungen sei das Verfahren voraussichtlich zur Anklage zu bringen, hält das Obergericht fest. Das Betreten der Wohnung war aus Sicht der Oberrichter gerechtfertigt. Ob das gewaltsame Öffnen der Schlafzimmertür nötig war, sei hingegen zweifelhaft. Es bestünden «konkrete Hinweise, dass dieses Vorgehen nicht mehr dem Situationsverlauf angepasst war». Nachdem die Polizei die Tür aufgebrochen hatte, stand der Mann nach übereinstimmenden Aussagen mit erhobener Waffe im Raum. Einer der Polizisten gab darauf fünf Schüsse aus seiner Dienstwaffe ab.
War es Notwehr?
Der erste Schuss erfolgte mutmasslich ohne Vorankündigung, und der Mann reagierte darauf nicht mit einer eigenen Schussabgabe. Für das Obergericht stellt sich daher auch die Frage, «ob die insgesamt vier weiteren Schüsse noch als angemessene Notwehrhandlung angesehen werden können». Auf den weiteren Verlauf der Ermittlungen und eine mögliche Anklage der Polizisten darf man gespannt sein.