BI DE LÜT!

Himmel – war ich da enttäuscht! Da hat uns das Schweizer Fernsehen ein fünfteiliges Portrait über Adelboden versprochen. UND WAS KAM, WAR EIN CORDON BLEU, DAS IM ÖL BADEN GING.

Irgendwie hat mich diese Sendung wütend gemacht. Denn igendwo an einem Redaktionstisch im Zürcher Fernsehland wurden Betonpfeiler gegossen: Freikirche…SVP-Ballungsort mit Betonköpfen…nötiges Neudenken und Innovation. Dies alles gezeigt in einem Hotel, das sein Cordon bleu per Computerschiene ins Öl schickt.

Um diese Pfeiler wurden sämtliche vorgefassten Meinungen betoniert: In Adelboden lässt es sich als Schwuler nicht leben…die Bergler sind extrem kritisch gegenüber Fremdem…das einzig Innovative ist nun noch ein Cordon bleu auf Computerbasis – ein Computerbleu, wenn man so will.

EHRLICH – DAS WAR NICHT MEIN ADELBODEN!

Ich kam mit sieben Jahren erstmals hierher. Mein Vater, Linksaussen der Basler SP-Politik kommentierte: «DAS IST DIE HOCHBURG DER SVP – ABER IMMERHIN KANN MAN MIT ALLEN DIS-KUTIEREN UND EIN BIERLEIN SCHÜT-TEN…»

Ich denke, das hat sich – wie so Vieles an diesem Ort – nicht verändert. Die Adelbodner haben ihren eigenen Grind. Aber sie hören sich auch andere Meinungen an.

Die Phobie gegen Schwule oder «Andere» habe ich kein einziges Mal erlebt. Ich fuhr mit pinken Skihosen das Chuenisbärgli hinunter. Keine Reaktion – was mich als junge Tucke arg ärgerte.

Die Geschwister Schmid – berühmtes Schweizer Travestie-Künstlerpaar, das auf allen deutschsprachigen Bühnen Europas zu Hause ist und in Berlin lebt – kommt immer wieder hierher zurück. Ihre neuen Bühnenprogramme werden unter dem Wildstrubel kreiert. «Phobie? Lächerlich! Die Leute hier sind offener als die ganze Berliner Szene…»

Aber natürlich hat man jemanden gefunden, der sein Herz ausschüttete. Und das Lied von Unverständnis und den «eng stirnigen Frömmelern» sang.

WAS MICH AM MEISTEN ENTTÄUSCHTE – ADELBODEN HÄTTE SO VIELES GE-HABT, DAS EIN BUNTES BILD ABGEGE-BEN HÄTTE: Die grossartige Gourmetszene mit den vielen innovativen Restaurants und Köchen…das süsse Angebot an Konditorei-Highlights, das man in dieser Breite selbst in St. Moritz oder Gstaad suchen muss…Metzgerei…Käseladen…Höfe, die Hausgemachtes anbieten…und…und…und.
Dazu kommt, dass dieses Dorf l e b t. WIRKLICH LEBT. Wer in den Städten einen richtigen Handwerkerladen sucht, sucht umsonst – in Adelboden gibt es diesen noch. Der bietet von tausend Nägeln über Beisszangen und Haken einfach alles. (Und was er nicht hat, das braucht ihr nicht!)

Die Kleider-Boutiquen sind nicht mit Louis-Vuitton- oder Hermes-Labels gespickt – aber es gibt noch einen Textilkünstler, der wetterfeste Hüte aus der Wolle seiner Schafe anfertigt. Und es gibt einen Schuhladen, der Finken nach Mass herstellt.
ABER HALLO.
ALLES KEIN THEMA!
NUR CORDON BLEU. FREIKIRCHE. UND EINE LEHRERIN, DIE BEI DEN SCHÜLERN POLITISCHES DENKEN PREDIGT.

Nun gut – die schönen Bergbilder haben mich dann wieder versöhnt. Die konnten sie nicht zubetonieren.
Und der Bergkristall-Mann mit seinem Rasputin-Bart war auch eine gute Nummer. So etwas hätte ich mir mehr gewünscht.
Aber irgendwann begann mich alles zu langweilen. Die vierte Folge, war wie die dritte. Die zweite, wie die erste.
NUR DAS CORDON BLEU BRACHTE IMMER WIEDER NEUE ÜBERRASCHUN-GEN.

Man hat in jeder Sendung den Ruf nach Innovativem runtergebetet – dieser Ruf plätscherte durch alle Folgen wie der Engstligenbach durchs Tal. Unbeirrt. Und in seinem engen Bett gefangen.
Adelboden müsse neue Wege gehen – DAS WAR DAS FROMME CREDO DER ANDERSDENKENDEN AUS ZÜRICH-LEUTSCHENBACH.
«Jaja», sagten die Bauern ungerührt am Stammtisch.
«Eh de scho…», meinte meine Nachbarin. Und setzte wie jedes Jahr ihre Tulpen.

Mehr Innovationsdenken, vor allem mehr Diversität – das wünschte auch ich mir! Allerdings vom Fernshen, das bei den «Lüt» sein will. In Adelboden aber ganz wo anders war.

-MINU

MINU@MINUBASEL.CH

UNTERLÄNDER IM OBERLAND – Bi de Lüt

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