«Ein Dienst an der Allgemeinheit»
03.05.2022 GesellschaftSOZIALES Ohne Freiwilligenarbeit würde unser Zusammenleben kaum funktionieren. Personen, die pflegende Angehörige zu Hause entlasten, leisten wertvolle Dienste.
KATHARINA WITTWER
Viele betagte oder kranke Menschen möchten möglichst lange in den eigenen vier Wänden ...
SOZIALES Ohne Freiwilligenarbeit würde unser Zusammenleben kaum funktionieren. Personen, die pflegende Angehörige zu Hause entlasten, leisten wertvolle Dienste.
KATHARINA WITTWER
Viele betagte oder kranke Menschen möchten möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben und am liebsten auch zu Hause sterben. Damit dies möglich wird, braucht es Unterstützung. Öffentliche und private Institutionen können Pflege- und Haushaltarbeiten übernehmen und die Grundbedürfnisse abdecken. Doch es bleiben täglich noch viele Stunden, in denen die Angehörigen für die weitere Pflege und emotionale Unterstützung ihrer Familienmitglieder da sind. Freiwillige von beocare (siehe Kasten unten) sorgen dabei für eine wichtige Entlastung. Drei Frauen erzählen hier von ihrem Engagement.
Esther Wehrli
Die gelernte Krankenpflegerin Esther Wehrli hat viel Erfahrung in der Begleitung von Sterbenden. Nebst ihrem Teilpensum als Nachtwache in einem Alters- und Pflegeheim steht sie bei beocare als Sterbebegleiterin zur Verfügung. «Anfragen dafür erhalte ich meistens kurzfristig», beschreibt Wehrli ihre Erfahrungen. «Dabei handelt es sich vorwiegend um Nachtwachen.» Sie beobachtet, dass Angehörige meistens zu lange warten, bis sie externe Hilfe anfordern. Jemanden bis zum Tod zu Hause zu begleiten, sei sehr anspruchsvoll und intensiv. Zusätzlich zur grossen emotionalen Belastung kommen die Angehörigen dabei an ihre physischen Grenzen.
Sterbebegleitung: herausfordernd und bereichernd
«Meine Nachteinsätze beginnen meistens um 22 Uhr. Zuerst muss ich das Vertrauen der Familienmitglieder gewinnen, damit sie überhaupt beruhigt schlafen können», schildert Esther Wehrli einen typischen Einsatz. «Sterbende können die verschiedensten Bedürfnisse haben. Einige suchen Körperkontakt und wollen meine Hand halten, andere vertrauen mir ihre Lebensgeschichte an. Sowas kann auch berührend sein.»
Die Krankenpflegerin versucht immer herauszufinden, was die jeweilige Person benötigt, um den Anliegen möglichst gerecht zu werden. Esther Wehrli empfiehlt Familienmitgliedern, in solchen schwierigen Zeiten ohne schlechtes Gewissen rechtzeitig Hilfe anzufordern.
Für sie selbst bedeutet Freiwilligenarbeit wie bei beocare einen Dienst an der Allgemeinheit.
Klara Schranz
«Diese sinnvolle Tätigkeit befriedigt mich sehr», beschreibt Klara Schranz ihre Einsätze bei beocare. Im Wechsel mit einer weiteren Freiwilligen besucht die einstige Pflegefachfrau jede zweite Woche Marie Berger*. Eine dritte Person verkürzt der Seniorin an einem weiteren Wochentag die Zeit.
Frau Berger leidet an Demenz. Grundpflege, Kochen und Putzen werden von der Spitex erledigt. Trotzdem bleibt zuweilen ein «Sonderwünschlein», womit Marie Berger ihre Töchter nicht belasten mag. «Vielleicht möchte sie etwas nicht Alltägliches oder ein Geschenk kaufen», erzählt Klara Schranz. «Das erledige ich dann gerne für sie.»
Gemeinsames Singen lenkt ab
Sofern es die Umstände zulassen, gehen die beiden auch gemeinsam spazieren. Draussen gibt es ständig etwas zu sehen, und das gemeinsame Kaffeetrinken ist bei solchen Ausflügen ein Muss. Hat Frau Berger einen schlechten Tag, erzählt sie unter Umständen x-mal das Gleiche. Manchmal gelingt es der Besucherin, sie auf ein anderes Thema zu bringen, manchmal nicht. Auch ein Lied aus der Schulzeit zu singen oder wenn ihr vorgelesen wird, schätzt die betagte Frau. Solche Beschäftigungen helfen, sie von ihren Sorgen und Ängsten abzulenken.
Gut informiert zum Besuch
Parallel dazu besucht Klara Schranz sporadisch eine weitere Seniorin. Diese ist geistig rege, jedoch machen ihr körperliche Einschränkungen zu schaffen. «Bevor ich zu ihr fahre, informiere ich mich jeweils gut, was im Frutigland so los ist», berichtet Schranz. «Der Ehemann beteiligt sich nämlich gerne am Gespräch und fragt nach meiner Meinung zu einem Baugesuch oder will wissen, wie weit eine Bachverbauung fortgeschritten ist. Oft sind auch die Angehörigen für einen Moment anwesend und schätzen den gemeinsamen Austausch mit mir sehr. So kann auch ein wertvolles, gegenseitiges Vertrauen aufgebaut werden.»
* Name geändert
Marianne von Känel
Nachdem Marianne von Känels Kinder ausgezogen waren, arbeitete sie als Pflegehelferin in einem Spital. Sie ist dankbar, dass ihr damals die Möglichkeit geboten wurde, den Pflegehelferinnenkurs SRK zu absolvieren. Nach der Pensionierung fehlte ihr eine erfüllende Tätigkeit. Auf Anraten ihrer Tochter meldete sie sich bei beocare für Freiwilligenarbeit. Das war vor zwölf Jahren.
Zu Beginn leistete sie einmal wöchentlich Nachtwache bei einer bettlägerigen Frau. Nach deren Tod betreute sie nacheinander mehrere Menschen mit Demenz oder Parkinson-Patienten. «Ich will immer nur für eine Person zuständig sein», sagt die aufgestellte 75-Jährige. «So komme ich auf zwei bis drei Einsätze pro Monat, und das stimmt für mich.»
Zuhören ist wichtig
Aktuell besucht sie eine betagte Frau. Deren Mann ist sehr besorgt um seine Ehepartnerin. «Ich weiss nie, in welchem Zustand ich Anna Eichenberger* antreffe, doch gehe ich stets gerne hin», beschreibt Marianne von Känel ihre Einsätze. Sie hat einen guten Draht zum Paar gefunden. Obwohl sie weder Ratgeberin noch Problemlöserin ist, können Eichenbergers bei ihr einige ihrer Sorgen und Nöte loswerden. Zuhören, ohne zu werten, und auch mal ein Kompliment zu machen, kann Wunder wirken. «Immer, bevor ich mich verabschiede, sagen mir die beiden: ‹Es ist schön, dass du hier warst, dein Besuch hat uns gutgetan!›»
Unterstützung und Beratung
Sieht Marianne von Känel in irgendeiner Form Handlungsbedarf, kann sie sich an Ursula Ming von der beocare-Aussenstelle in Frutigen wenden oder an die Anlaufstelle in Thun. «Diese beiden Stellen gehen auch auf meine persönlichen Wünsche ein und haben Verständnis für meine eigene Situation, wenn eine Anpassung meiner Einsätze nötig wird.»
Frau von Känel nimmt regelmässig an den vom Roten Kreuz angebotenen Praxisberatungen (sogenannten Austauschgesprächen) teil, findet sie diese doch wertvoll und äusserst lehrreich.
* Name geändert
beocare – ein Entlastungsangebot für Angehörige
beocare – Entlastung Angehörige SRK ist ein Angebot des Schweizerischen Roten Kreuzes, Region Oberland (siehe Kasten rechts). Fachkundige Freiwillige übernehmen stundenweise die Betreuung von pflegebedürftigen und kranken Menschen oder begleiten Sterbende, vornehmlich während der Nacht. Dies mit dem Ziel, den Angehörigen, die häufig eine 24-Stunden-Betreuung übernehmen, eine Verschnaufpause zu ermöglichen. Pflege und Haushaltsarbeiten gehören nicht zum Aufgabenbereich.
Für die Aus- und Weiterbildung der Freiwilligen von beocare ist das Rote Kreuz, Region Oberland, zuständig. Insbesondere zu den Themen Menschen mit Demenz und Sterbebegleitung werden die Freiwilligen geschult. Alle beratenden und betreuenden Personen unterliegen der Schweigepflicht.
Koordination:
Nebst der Anlaufstelle beocare in Thun gibt es für die Beratung und Betreuung von Angehörigen sowie für die Begleitung von Freiwilligen im Berner Oberland fünf Aussenstellen. Diese sind in Meiringen, Interlaken, Frutigen, St. Stephan und Saanen. Im Frutigland ist für die Koordination Ursula Ming zuständig.
PRESSEDIENST BEOCARE
Infos und Beratung für interessierte Freiwillige oder Angehörige: Tel. 033 225 00 87
SRK Kanton Bern, Region Oberland
Das Schweizerische Rote Kreuz ist die grösste humanitäre Organisation der Schweiz. Das SRK Kanton Bern, Region Oberland, engagiert sich in den Bereichen Gesundheit, Entlastung und Bildung. 30 Mitarbeitende und 585 Freiwillige unterstützen Familien, Einzelpersonen und ältere Menschen mit Dienstleistungen wie Rotkreuz-Fahrdienst, Rotkreuz-Notruf, Kinderbetreuung zu Hause und beocare-Entlastung Angehörige / Bildung. Das Einzugsgebiet umfasst das gesamte Berner Oberland.
PRESSEDIENST SRK KANTON BERN
Weitere Informationen dazu finden Sie unter www.frutiglaender.ch/web-links.html