Mit Luise Hofstetter in die Zeit der Belle Epoque
17.05.2022 Mülenen, EmdthalDas Spiezer «Gschichtewyb» Eva Frei begibt sich regelmässig auf die Spuren von Frauen aus der näheren Umgebung und erzählt von deren Schicksal. In ihrer neusten szenischen Führung lässt sie Louise Hofstetter-Regez aufleben. Diese führte zusammen mit ihrem Ehemann Johann während ...
Das Spiezer «Gschichtewyb» Eva Frei begibt sich regelmässig auf die Spuren von Frauen aus der näheren Umgebung und erzählt von deren Schicksal. In ihrer neusten szenischen Führung lässt sie Louise Hofstetter-Regez aufleben. Diese führte zusammen mit ihrem Ehemann Johann während der Zeit der Belle Epoque das Kurhotel Bad Heustrich.
KATHARINA WITTWER
Wie im 19. Jahrhundert üblich, blieb den Mädchen aus bürgerlichem Hause nichts anderes übrig, als sich dem Vater, später dem Ehemann oder – sofern kein s olches Mannsbild vorhanden – einem anderen männlichen Verwandten unterzuordnen. So erging es auch Louise Regez. Die Arzttochter aus Erlenbach im Simmental musste in einem Institut für höhere Töchter die weiblichen Tugenden erlernen – jedenfalls das, was man dafür hielt. Unterrichtsthemen waren unter anderem: einem Haushalt vorstehen, sticken, mit geradem Rücken still auf einem zugewiesenen Stuhl sitzen und stets die Contenance behalten. Verheiratet mit Johann Hofstetter, Hotelierssohn vom Bad Heustrich, kam ihr all das zugute. Immerhin: Sie wurde von ihrem Ehemann stets mach ihrer Meinung gefragt und ernst genommen.
Die «Königin» vom Bad Heustrich
Am vergangenen Samstag entführte Eva Frei ihre Gäste auf dem Weg von der Talstation der Niesenbahn bis zum Bad Heustrich (Asphaltsträsschen) erstmals in die Zeit der Hochblüte des Bades. Dabei schlüpfte das Spiezer Gschichtewyb zunächst in die Rolle von Louise Hofstetter-Regez, die das Kurhaus zusammen mit ihrem Ehemann von 1860 bis 1902 in zweiter Generation geführt hatte.
Wenn der Betrieb jeweils im Herbst geschlossen wurde, standen alsbald Bauarbeiter bereit, denn ständig wurde ausgebaut und erweitert. So entstand Ende des 19. Jahrhunderts auf der linken Seite der Kander ein richtiggehendes «Königreich», in dem Louise das Personal führen musste. Sie gab sich mit den Gästen ab und hielt dem Ehemann den Rücken frei, damit er sich seinen stetigen Vergrösserungsplänen, dem Landwirtschaftsbetrieb, dem Viehhandel und nicht zuletzt der Politik widmen konnte. Daneben musste sie ihrer Rolle als Ehefrau und Mutter gerecht werden. All das forderte viel von der tüchtigen Frau – der «Königin vom Bad Heustrich», wie ihr Ehemann sie liebevoll betitelte.
Dienstmädchen und Badearzt
Eva Frei würde ihrer Rolle als «Gschichtewyb» nicht gerecht, wenn sie bloss eine Sichtweise präsentierten würde. Und so stand unterwegs plötzlich das Dienstmädchen Resi vor den Teilnehmenden. Die fröhliche junge Frau lästerte über das Getue einiger hochnäsiger Gäste. Resis Arbeitstage waren lang. Am frühen Morgen half Resi, den Kuhsalon (siehe dazu weiter unten) peinlich sauber zu putzen. Anschliessend war ihre Arbeit beim Frühstücksservice und bis spät abends im Zimmerdienst gefragt.
Auch Doktor Müller, der deutsche Kurarzt, wurde von Eva Frei dargestellt, diesmal in einen weissen Kittel gewandet. Doktor Müller pries verschiedene Heilmethoden an und berief sich auf eine Heilquote von 80 Prozent. Im Bad Heustrich wurden Kuren gegen unzählige Krankheiten und Zipperlein angeboten. Diese waren europaweit bekannt. Bäder, Duschen, Trinkkuren mit schwefel- oder eisenhaltigem Wasser, Molkekuren, Inhalationen und vieles mehr gehörten dazu. Die pneumatische Glocke war ein absolutes Novum. Der grosse, zylinderförmige Apparat wurde bei Atemwegserkrankungen eingesetzt. Aber es ging auch simpler: Sogar das Einatmen von Stallluft im noblen Kuhsalon sollte zur Heilung beitragen. Des Weiteren pries der Doktor das sogenannte Gurgelkabinett an.
Nicht bloss eitel Sonnenschein
Auch Louise kam erneut zu Wort. Ungeschönt erzählte sie von familiären Problemen und Schicksalsschlägen. Glücklicherweise konnten sie und ihr Mann das Kurhaus guten Gewissens ihrem Sohn Hans und seiner Frau Lina übergeben. Bekanntlich setzte der Ausbruch des Ersten Weltkrieges dem frühen touristischen Boom ein jähes Ende. Die sogenannten Goldenen Zwanziger vermochten den Betrieb nicht zu retten – im Gegenteil. Die Schulden stiegen ins Unermessliche. Bevor es richtiggehend bergab ging, folgte Louise Hofstetter ihrem inzwischen verstorbenen Ehemann nach.
Führungen mit und über Louise Hofstetter: Samstag, 18. Juni; Sonntag, 14. August; Samstag, 17. September; Treffpunkt jeweils 10 Uhr neben der Niesenbahn-Talstation. Dauer ca. 80 Minuten, Kosten 25 / 10 Franken. Anmeldungen erforderlich an eva.frei@bluewin.ch oder Tel. 033 655 05 66. Weitere szenische Führungen von Eva Frei finden Sie in unserer Web-Link-Übersicht unter www.frutiglaender.ch/web-links.html