POLITIKUM – «Diese Information lässt sich nicht unabhängig überprüfen»
17.05.2022 Kolumne«Diese Information lässt sich nicht unabhängig überprüfen»
Beim Krieg in der Ukraine zeigt sich, wie moderne Formen des Journalismus auch klassische Zeitungen unter Zugzwang setzen können. Und dieser Zugzwang hat für die LeserInnen – und damit für die ...
«Diese Information lässt sich nicht unabhängig überprüfen»
Beim Krieg in der Ukraine zeigt sich, wie moderne Formen des Journalismus auch klassische Zeitungen unter Zugzwang setzen können. Und dieser Zugzwang hat für die LeserInnen – und damit für die Öffentlichkeit – vor allem negative Folgen, wie ich finde. Es geht darum, wie man über Krieg berichten kann und soll. Und wie die Tatsache, dass der Krieg in Europa stattfindet, die Medien in ihrer Berichterstattung beeinflusst.
Kürzlich war ich für einige Tage im Militärdienst, um den nächsten WK unseres Bataillons vorzubereiten. Natürlich war dabei die Situation in der Ukraine ein gros ses Thema. Als Infanteristen sind uns viele Begriffe, die in den Nachrichten auch einem breiten Publikum zugemutet werden, seit Längerem bekannt. Diese militärische Perspektive ist es auch, deretwegen viele meiner Kollegen finden, in den Schweizer Medien werde sehr schlecht über den Konflikt berichtet. Ich habe mich zuerst dagegen gewehrt: Natürlich darf (und muss) man sich für die Ukraine aussprechen! Natürlich darf der russische Angriffskrieg nicht einfach völlig neutral beobachtet werden! Die Schweizer Medien verfahren übrigens konsequent nach dieser Devise, das Wort Angriffskrieg ist einer der Indikatoren dafür. Für eine rein neutrale Betrachtung wäre dieser Begriff nicht nötig, er ist hochpolitisch und letztlich ein Bekenntnis zur ukrainischen Position.
Erstaunlicherweise habe ich mit meiner Argumentation gegen die Neutralität aber den falschen Punkt getroffen. Meine Kollegen störten sich an etwas anderem. Es ging ihnen nicht um die politischen Entwicklungen, sondern um die Neuigkeiten, die uns täglich zum reinen Kriegsverlauf um die Ohren gehauen werden. Raketen hier, getötete Zivilisten dort und an einer ganz anderen Stelle abgeschossene Kampfhelikopter und zerstörte Panzer. Gemeinsam ist solchen Meldungen in aller Regel ein Satz, der am Ende angefügt wird: «Diese Information lässt sich nicht unabhängig überprüfen.» Und meine Kameraden monieren zu Recht, dass eine Information mit diesem Satz wertlos ist in einem Medium, das Qualitätsjournalismus betreiben will. Denn wenn ich nicht sicher weiss, dass die verbreitete Information stimmt, hat sie in einer Zeitung nichts verloren. Punkt.
«Diese Information lässt sich nicht unabhängig überprüfen» – Schweizer Medien verwenden diesen Satz derzeit inflationär. Zum einen natürlich, weil sich in einem solchen Krieg logischerweise nur die wenigsten Informationen verifizieren lassen. Zum andern, weil die russische Seite deutlich weniger (und unglaubwürdiger) informiert. Aber auch, weil viele westliche Geheimdienste ihre Informationen öffentlich machen. Und vor allem, weil die Informationen, die über Social-Media-Portale wie Facebook, Youtube oder Reddit verbreitet werden, auch die Menschen in der Schweiz quasi direkt mit in den Krieg nehmen. Das setzt die klassischen Medien unter Druck, Informationen von dort zu veröffentlichen, ohne sie auf ihren Wahrheitsgehalt prüfen zu können.
Ein schönes Beispiel sind Panzer. Scrollt man sich durch die sozialen Medien, könnte man das Gefühl bekommen, dass den Russen bald endgültig die Panzer ausgehen. Und dass die Ukrainer auf ganzer Linie siegen. Tatsächlich verlieren die Russen zwar mehr Panzer als die Ukrainer, aber nur im (ungefähren) Verhältnis von 3:2. Oder anders formuliert: Die ukrainische Propaganda funktioniert. Das ist nicht verwerflich, verzerrt aber unser Bild von diesem Konflikt.
Zusammengefasst führt also die (legitime) politische Nähe zur Ukraine dazu, dass auch die militärische Berichterstattung verzerrt dargestellt wird. Die ukrainische Position wird zu oft ungeprüft übernommen. Und auch wenn diese Praxis transparent kommuniziert wird, sind es damit keine unabhängigen Medien mehr, die über den Krieg berichten. Bei aller Wut über das Verhalten von Putins Regime dürfen wir uns nicht dazu hinreissen lassen, auch unsere Medien zu einem Sprachrohr zu machen, egal von welcher Seite. Nicht über etwas zu berichten, das in aller Munde ist, befeuert bei den Medien die Angst, die Leser nicht ausreichend mit Informationen zu versorgen. Und deshalb tun sie es doch.
Ich persönlich bevorzuge es, lieber weniger und dafür gesicherte Informationen zu erhalten. Und ich hoffe, dass diese Einstellung auch noch andere Menschen in der Schweiz haben.
SEBASTIAN DÜRST
SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH