FÜRSORGLICHE ALGORITHMEN
Arbeitswelt und Digitalisierung sind natürliche Verbündete – mit dieser These habe ich Sie an dieser Stelle schon mehrfach belästigt. Die neuen Techniken schaffen nicht nur neue Jobs, sondern grundsätzlich auch bequemere. Ob Sie mit Ihrem ...
FÜRSORGLICHE ALGORITHMEN
Arbeitswelt und Digitalisierung sind natürliche Verbündete – mit dieser These habe ich Sie an dieser Stelle schon mehrfach belästigt. Die neuen Techniken schaffen nicht nur neue Jobs, sondern grundsätzlich auch bequemere. Ob Sie mit Ihrem Laptop im Büro, am Strand oder im Wartezimmer des Arztes hocken, kann der Chefin egal sein. Hauptsache, das Ergebnis stimmt. Auch die Chefin selbst profitiert von den neuen Möglichkeiten. Zum Beispiel bei der Angestelltensuche: Statt Berge von Bewerbungen durchzugehen, kann sie eine automatisierte Vor auswahl treffen. Viele gros se Unternehmen nutzen heute künstliche Intelligenz, um Bewerbungen nach bestimmten Kriterien zu scannen. Im Idealfall bleiben so nur die qualifiziertesten Anwärter übrig – unabhängig von persönlichen Seilschaften oder Sympathien. Dass darin auch viel Missbrauchspotenzial liegt, ist unbenommen. Schliesslich kann man den Algorithmen auch die eigenen Vorurteile antrainieren und sie beispielsweise anleiten, Frauen im gebärfähigen Alter auszusieben.
Doch malen wir den Teufel mal nicht an die Wand: Die meisten Arbeitgeber setzen ihre digitalen Hilfsmittel bestimmt verantwortungsvoll und zum Wohle ihrer Belegschaft ein. In den USA scheint sich gerade ein neuer Trend zur Burnout-Prävention zu etablieren. Mehrere Unternehmen lassen die E-Mails, Chats und Kalendereinträge ihrer Mitarbeiter von Algorithmen durchforsten. Bei gewissen Schlüsselbegriffen wie «Stress» oder «kündigen» schlägt das Programm Alarm – zumindest, wenn sie wiederholt vorkommen. Auch der vermehrte Einsatz von Grossbuchstaben oder Ausrufezeichen wird registriert. Der Arbeitgeber bekommt dann irgendwann eine Warnung, dass seine Angestellten burnout-gefährdet sind.
Was nach Spionage klingt und Datenschützer aufhorchen lässt, ist in Wahrheit echte Fürsorge. «Erudit macht es möglich, den Gefühlszustand der Mitarbeiter zu kennen und zu verstehen», wirbt ein Anbieter solcher Algorithmen. Dass sich der Arbeitgeber dadurch den teuren Psychologen spart und seine eigene wertvolle Arbeitszeit nicht mit Gesprächen verplempert, ist natürlich ein schöner Nebeneffekt.
BIANCA HÜSING
B.HUESING@FRUTIGLAENDER.CH