Der unbeschreibliche Dritte
03.06.2022 GesellschaftZU PFINGSTEN Er ist so wichtig, dass man ihm ein langes Wochenende gewidmet hat, und doch bleibt er schwer zu fassen: der Heilige Geist. Eine Spurensuche zwischen heissem Stahl und Sprachwissenschaft.
MARK POLLMEIER
Es ist schon einige Jahre her, da verbrachte ich ...
ZU PFINGSTEN Er ist so wichtig, dass man ihm ein langes Wochenende gewidmet hat, und doch bleibt er schwer zu fassen: der Heilige Geist. Eine Spurensuche zwischen heissem Stahl und Sprachwissenschaft.
MARK POLLMEIER
Es ist schon einige Jahre her, da verbrachte ich einen ohnehin schon warmen Sommer an einem noch heisseren Ort: in einer Eisengiesserei. In eine feuerfeste Schürze gewandet schlug ich mit einem kiloschweren Hammer auf frisch gegossene, funkensprühende Sechszylinder-Motoren ein, um sie von Formsand und überstehenden Metallgraten zu befreien. Pro Schicht trank ich drei Liter Wasser, ohne ein einziges Mal zum WC zu müssen. Abends spürte ich meine Hände nicht mehr.
Für mich war das Ganze ein Ferienjob mit absehbarem Ende – für meine ausschliesslich türkischen Kollegen der Arbeitsalltag. Über die Jahre hatten sie ihre ganz eigenen Gepflogenheiten entwickelt. So war es üblich, zur Mittagspause einen der Opel-Motoren vom Förderband zu hieven. Kaum stand der Zylinderblock in der grossen Werkshalle am Boden, packten alle ihre Fleischspiesse und Gemüse aus und grillierten sich das Mittagessen über dem noch glühenden Metallblock. Es dauerte ein paar Tage, dann war auch ich Teil dieser Tafelrunde und röstete meine Pausenverpflegung über dem heissen Motor.
«Warum drei Götter?»
Mit der Zeit entwickelte sich in dieser merkwürdigen Umgebung etwas, was man heute vielleicht interkulturellen Dialog nennen würde. Wir redeten über die Heimat, über Familien und Politik – und irgendwann auch über die Religion. Bei diesem Thema befand ich mich in einer ungewohnten Situation: Hier, in der Werkshalle, stellte ich die Minderheit. Sämtliche Arbeiter am Förderband waren Moslems, ich der christliche Ausseneiter.
Er kapiere unsere Götter nicht, sagte ein Kollege, als wir mittags wieder einmal am heissen Motorblock sassen. Der Vater im Himmel, okay, der sei wie Allah. Jesus kannte er natürlich auch, dessen Geburt wird auch im Koran geschildert (samt den Wehen der Maria, wie ich erfuhr). Aber mit diesem Heiligen Geist konnte der Kollege nichts anfangen. Und überhaupt, «Warum drei Götter?», fragte er ratlos. Das sei ihm alles zu hoch.
Ich versuchte ihm zu erklären, dass es ja nicht drei Götter seien, sondern derselbe Gott ihn dreierlei Gestalt. Als ich damit nicht weiterkam, versuchte ich es mit einem Vergleich. «Wasser ist meist flüssig, gefroren wird es zu Eis und bei Hitze zu Dampf – und doch ist es immer Wasser!» So passend ich mein Bild fand, so wenig überzeugt war der Kollege. «Allah ist der einzige Gott, fertig», sagte er bestimmt
«Eigentlich hat er recht», dachte ich bei mir, als wir uns wieder die schweren Schürzen umhängten und zum Band trotteten. Das Konzept der Dreieinigkeit ist einfach und kompliziert zugleich. Vor allem die dritte «Person», der Heilige Geist, ist tatsächlich schwer zu fassen.
Männlich, weiblich – oder alles zusammen?
Das Uneindeutige, Unfassbare hat seinen Ursprung schon in der Bibel. «Und die Erde war wüst und leer», heisst es ganz am Anfang, «und es war finster auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte auf dem Wasser.» Schon nach den ersten Zeilen weiss man, dass es offenbar einen Geist Gottes gibt. Aber wie er ist, welche Eigenschaften er hat und wie er aussieht, bleibt offen.
Ein Blick aufs Hebräische, die Sprache des Alten Testaments, hilft auch nicht weiter – eher im Gegenteil. «Ruach», das Wort für Geist, kann alles Mögliche bedeuten: Wind, Hauch, Luft, Atem, Schnauben, Brausen, aber auch Kraft oder Energie, die dem Menschen von Gott «eingehaucht» wird. Nicht einmal das Geschlecht ist eindeutig: Eigentlich ist «ruach» im Hebräischen weiblich, doch manchmal wird auch die männliche Form verwendet.
Mal mit, mal ohne Artikel
Immerhin: Dass der Geist Gottes mit Luft und Atem zu tun hat, zeigt sich auch im Neuen Testament. «Pneuma» heisst der Geist im antiken Griechisch – ein Wort, das einem heute am ehesten im Zusammenhang mit einer Lungenkrankheit begegnet (Pneumonie bedeutet Lungenentzündung).
Doch im Neuen Testament fällt noch etwas anderes auf. Wenn vom Heiligen Geist die Rede ist, wird manchmal ein Artikel gesetzt (der Heilige Geist) und manchmal nicht. Als Maria zum Beispiel erfährt, dass sie ein Kind gebären wird, steht im Originaltext: «Heiliger Geist wird über dich kommen.» Ein Artikel fehlt hier (Lukas 1,35). Zwei Kapitel weiter heisst es dann aber: «…und der Heilige Geist fuhr hernieder auf ihn.» (Lukas 3,22).
Dass mal ein bestimmter Artikel steht und mal nicht, könnte natürlich Zufall sein oder eine Nachlässigkeit der biblischen Autoren. Dagegen spricht jedoch, dass das Setzen oder Weglassen einem Prinzip folgt. Steht kein Artikel, ist der Heilige Geist meist eine lebensspendende Kraft, eine Energie oder schlicht göttlicher Einfluss. Steht der Artikel, wirkt der Geist wie eine handelnde Person.
Nach diesem kurzen Ausflug in die Welt der biblischen Sprachen weiss man also zweierlei: Von seinem Ursprung her hat der Heilige Geist etwas mit (göttlichem) Wind oder Atem zu tun. Er ist flüchtig und kaum greifbar. «Der Geist weht, wo er will», heisst es dazu passend im Johannesevangelium, und man könnte ergänzen: ... und er wirkt, wie er will. Mal tritt er als Kraft auf, als Befähigung, mal wie eine eigenständige Person.
Ein Streitthema von Anfang an
Von dieser verwirrenden Vielfalt waren nicht nur meine türkischen Arbeitskollegen überfordert. Auch die Theologen der frühen Kirche hatten ihre liebe Mühe mit dem Heiligen Geist und seinen Eigenschaften. Ist er neben Gott und Jesus eine eigene Person? Ist er eine von Gott ausgehende Kraft? Oder lediglich eine andere Bezeichnung für Jesus Christus?
Mancher wird angesichts solcher Spitzfindigkeiten den Kopf schütteln. Für die Gelehrten des Altertums waren solche Fragen jedoch von grösster Wichtigkeit. Wie ernst der Streit um die richtige Deutung war, lässt sich an einem einschneidenden Datum der Kirchengeschichte ablesen. Im Jahr 1054 kam es zur Spaltung in eine Ost- und eine Westkirche, die bis heute andauert. Ein wichtiger Grund für die Trennung: Die Westkirche lehrte das Hervorgehen des Heiligen Geistes aus dem Vater und dem Sohn. Die Ostkirche hielt an ihrer Auffassung fest, der Geist gehe aus dem Vater durch den Sohn hervor.
Wie gesagt: Es ist heute kaum noch vermittelbar, worum die Gelehrten damals stritten, und den Menschen des Mittelalters dürfte es kaum anders ergangen sein. Das einfache Volk wird gar nicht mitbekommen haben, welche theologischen Details an den grossen Kirchenkonferenzen jeweils verhandelt wurden. Und selbst wenn – was hätte es geändert? Damals wie heute sind für die meisten Gläubigen weniger die kirchlichen Dogmen ausschlaggebend als vielmehr die eigenen Erfahrungen.
Die Pfingstgeschichte, wie sie in der biblischen Apostelgeschichte geschildert wird, ist ein gutes Beispiel für eine solche Erfahrung. Nachdem der Heilige Geist wie «ein Brausen vom Himmel» über die Menschenmenge gekommen ist, beginnt Petrus, zu den Leuten zu predigen. Was er erzählt, ist nicht neu – und vielleicht auch gar nicht so wichtig. Entscheidend ist ein Satz, der die Wirkung seiner Predigt zusammenfasst: «Als sie dies hörten, traf es sie mitten ins Herz.»
Eine Kraft, die be-geistert
Nach hebräischer Vorstellung ist das Herz das Zentrum einer Person, der Ort, wo das Fühlen, Denken und Wollen sitzt. Aber das muss man gar nicht wissen; man versteht auch so, worum es hier geht: Was einen ins Herz trifft, das bewegt und berührt einen, das fordert eine Reaktion. Und so ist es auch in der Pfingsterzählung: Die Ansprache des Petrus’ lässt niemanden kalt. 3000 Zuhörer liessen sich an Ort und Stelle taufen.
Man kann nun vermuten, dass dieser Petrus wohl ein begnadeter Redner gewesen sein muss, wenn seine Predigt eine solch durchschlagende Wirkung hatte. Die biblische Geschichte legt etwas anderes nahe: Es ist Gottes Geist, der hier wirkt. Er reisst die Leute derartig mit, dass aus dieser Begeisterung gegen alle Wahrscheinlichkeit eine neue Weltreligion entsteht. Martin Luther war denn auch der Auffassung, dass ohne das Wirken des Geistes gar kein Glaube möglich sei. In seinem Kleinen Katechimus schreibt er: «Ich glaube, dass ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum, meinen Herrn, glauben oder zu ihm kommen kann, sondern der Heilige Geist hat mich durchs Evangelium berufen, mit seinen Gaben erleuchtet, im rechten Glauben geheiliget und erhalten.»
Es bleibt ein Geheimnis
Ohne Geist kein Glaube. So wichtig die biblische Pfingsterzählung einerseits für das Christentum ist, so typisch ist sie andererseits. Der Geist Gottes kommt mit einem Brausen, er bewirkt merkwürdige Dinge, und am Ende tun Menschen etwas, von dem sie zuvor nichts geahnt haben. Doch wie das alles vonstattengeht, bleibt ein Geheimnis.
Vielleicht ist genau das auch das Hauptmerkmal des Heiligen Geistes: Er lässt sich nicht erklären, nicht beschreiben oder in Regeln fassen. Er weht, wo er will, und er wirkt, wie er will. Eigentlich kein Wunder, dass ich meine türkischen Kollegen nicht überzeugen konnte.