POLITIKUM – Wie die Welt halt einfach funktioniert
28.06.2022 KolumneWie die Welt halt einfach funktioniert
Wäre es ein normales Jahr 2022, könnten wir jetzt Fussball auf Weltklasseniveau bestaunen. Es wäre warm, überall könnten die Beizen Public Viewings anbieten, und bei den Spielen der Schweizer Nationalmannschaft würden wir mit der ...
Wie die Welt halt einfach funktioniert
Wäre es ein normales Jahr 2022, könnten wir jetzt Fussball auf Weltklasseniveau bestaunen. Es wäre warm, überall könnten die Beizen Public Viewings anbieten, und bei den Spielen der Schweizer Nationalmannschaft würden wir mit der Mannschaft mitfeiern oder mitleiden. Mit ziemlicher Sicherheit würde es wieder Diskussionen um einzelne Exponenten der Mannschaft geben – vielleicht über Coiffeurbesuche von Nati-Captain Granit Xhaka, vielleicht aber auch über die Aufstellung von Trainer Murat Yakin.
Doch Sie wissen es vermutlich auch schon: Das Jahr 2022 ist kein normales Jahr. Eine Fussball-WM findet in diesem Jahr zwar statt, aber nicht wie sonst üblich im Sommer. Die WM wurde nach Katar vergeben, wo es im Sommer so heiss wird, dass selbst in klimatisierten Stadien (!) kein Fussball gespielt werden kann, ohne die Gesundheit der Spieler und Fans zu gefährden. Ja, es ist auf so vielen Ebenen ein Skandal, dass diese WM an ein Land wie Katar vergeben wurde, dass man sich nicht einmal mehr die Mühe machen muss, die Gründe dafür aufzuzählen.
Dennoch können wir sicher sein, dass sich die jetzige Kritik und der Ärger pünktlich mit dem Anpfiff der WM verflüchtigen werden. Die viel beschworene Entpolitisierung des Sports wird sich auch diesmal durchsetzen. Und auch wir werden im November und Dezember mit der Nati mitfiebern, ohne die Kritik aus dem Vorfeld fortzuführen. Vielleicht wird man im Nachgang noch ein wenig darüber diskutieren. In Erinnerung bleiben werden von der WM in Katar aber nur die sportlichen Erfolge (oder Misserfolge).
Die FIFA als Organisatorin des Turniers weiss das ganz genau. Sie gibt im Vorfeld ein paar Lippenbekenntnisse ab, aber eigentlich wussten alle Beteiligten schon immer, dass es genau so laufen wird, wie ich es gerade beschrieben habe.
Um zu sehen, wie gut diese Taktik funktioniert, muss man nicht weit zurückschauen. Sie erinnern sich vielleicht noch an die letzte Fussball-WM. Respektive: Vermutlich erinnern sie sich an den heroischen Kampf der Schweizer gegen Brasilien, an das Bild des lachenden Valon Behrami neben dem jammernden Neymar. Oder an den Doppeladler-Skandal gegen Serbien. Aber seien Sie ehrlich: Wissen Sie noch, in welchem Land die Spiele stattgefunden haben?
Vermutlich konnten Sie es sich erst nach einigem Überlegen herleiten. Ja, die WM 2018 fand in Russland statt. Um das zeitlich einzuordnen: Damals hatte Russland die Krim schon länger annektiert, die Ukrainer wehrten sich gegen die Einrichtung der «Republiken» Donezk und Luhansk. Doch der Weltfussballverband gab einem verbrecherischen Präsidenten die Möglichkeit, sich der Weltöffentlichkeit im besten Licht zu präsentieren – ohne dass man überhaupt darüber diskutiert hätte, die WM an einen anderen Ort zu verschieben. Heute sieht das freilich anders aus. Russische Sportler werden in den allermeisten Sportarten von den Turnieren ausgeschlossen, internationale Wettkämpfe finden in Russland praktisch nicht mehr statt. Mir zeigt diese Entwicklung zwei Dinge, die ein Nachdenken wert sind:
1. Sport ist tatsächlich eine politikfreie Zone. Ist der Anlass einmal gestartet, ist es allen egal, wo genau er denn stattfindet. Dass die Gastgeber sich damit profilieren, ist also gar nicht möglich.
2. Die meisten Sportverbände kennen keine Skrupel. Es lohnt sich darum auch nicht, sich darüber aufzuregen. Diese Organisationen nutzen schlicht und einfach die Beeinflussbarkeit der öffenlichen Meinung hemmungslos aus. Das muss man akzeptieren, wenn man Wert auf guten (also kommerzialiserten) Sport legt. So funktioniert unsere Welt halt einfach.
SEBASTIAN DÜRST
SEBASTIAN.DUERST@BLUEWIN.CH