POLITISCHES PARKETT – Der Ukraine-Krieg und seine Folgen
21.06.2022 KolumneDer Ukraine-Krieg und seine Folgen
Der unmenschliche Krieg in der Ukraine hat den Nationalrat im Rahmen von ausserordentlichen Debatten beschäftigt. Bis vor wenigen Monaten hat kaum jemand erwartet, dass ein Aggressor ein demokratisches Land in Europa angreifen wird. Mich ...
Der Ukraine-Krieg und seine Folgen
Der unmenschliche Krieg in der Ukraine hat den Nationalrat im Rahmen von ausserordentlichen Debatten beschäftigt. Bis vor wenigen Monaten hat kaum jemand erwartet, dass ein Aggressor ein demokratisches Land in Europa angreifen wird. Mich beschäftigt diese lähmende Situation ausserordentlich und ich bin überzeugt, dass wir einiges überdenken müssen: die Neutralität, die Abhängigkeit von fossilen Energien aus undemokratischen und instabilen Ländern, aber auch unsere Rolle als internationaler Handelsplatz.
Die Schweiz tut sich schwer mit ihrer Rolle, die Neutralität steht einmal mehr zur Debatte. Sie ist ein elastischer Begriff und wurde immer wieder etwas anders interpretiert. Für mich bedeutet Neutralität in einem derart eindeutigen Fall nicht, untätig zuzuschauen, sondern eine klare Haltung einzunehmen und sich auf die Seite des Völkerrechtes zu stellen. Der Bundesrat hat in Sachen Sanktionen schwach angefangen und sich nur verhalten gesteigert. Die beschlossenen Sanktionen werden in der Schweiz aufgrund fehlender Transparenz und verstrickter Vermögensverhältnisse auf eine unbeholfene und wenig kooperative Art umgesetzt. Wegschauen statt mitdenken ist das Motto. Haltung zeigen und souverän handeln wäre das wünschenswerte Gegenteil. Mit einer Taskforce könnten in der Schweiz gelagerte Vermögenswerte reicher russischer Staatsangehöriger lokalisiert und unter die Lupe genommen werden. Es verstreicht immer wieder kostbare Zeit, während der Sanktionsumgehungen eingerichtet werden, zum Beispiel mittels Überschreibung von Vermögen auf die Ehefrau. Ich erwarte mehr Leadership seitens der Schweiz mit einem klaren Ziel: Wir wollen, dass die Finanzströme, die Putins Krieg finanzieren, auf allen Ebenen so rasch wie möglich abgestellt werden.
Auch bei den Rohstoffen liegt noch vieles im Argen. Im Zusammenhang mit dem Rohstoffhandelsplatz Schweiz konnte der Bundesrat bisher keine befriedigenden Antworten liefern. Überall wird im Dunkeln gestochert, es fehlt an Übersicht und Transparenz. Das muss sich ändern. Ich stehe dem internationalen Handel sehr positiv gegenüber und die Schweiz soll ein wichtiger Handelsplatz bleiben. Aber unser Rohstoffhandelsplatz muss transparent und sauber ausgestaltet sein. Wie mit dem Bankenplatz, der dank mehr Transparenz mit dem automatischen Informationsaustausch an Bedeutung gewonnen hat, soll es künftig auch mit dem Rohstoffhandel sein. Leider hat der Nationalrat diese Vorteile noch nicht eingesehen und entsprechende Vorstösse abgelehnt.
Auch die steigenden Energiepreise wurden intensiv diskutiert. Schon 2008 bis 2012 waren die Benzinpreise zeitweise um die zwei Franken pro Liter, danach jahrelang deutlich tiefer. Auf solche Schwankungen sofort politisch zu reagieren, halte ich für falsch. Dass fossile Brenn- und Treibstoffe teurer werden, ist grundsätzlich gut. Damit steigt der Anreiz für einen rascheren Umstieg auf erneuerbare Energien. Trotz der erhöhten Energiepreise ist der Inflationsdruck in der Schweiz bisher moderat. Ausgerechnet die SVP wollte mit giesskannenartigen Subventionen und Geldverteilprogrammen reagieren, was aber wuchtig abgelehnt wurde.
Sehr deutlich angenommen wurde hingegen der indirekte Gegenvorschlag zur Gletscherinitiative, der den Weg und erste Massnahmen hin zur klimaneutralen Schweiz mit Netto-Null bis 2050 festlegt. Dieser Schritt macht mehr Sinn denn je. Mit dem raschen und vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wir reduzieren unsere Abhängigkeit von fossilen Energien und werden zugleich weniger anfällig für Preisschocks, wie wir sie zurzeit aufgrund des Kriegs in der Ukraine erleben.
JÜRG GROSSEN NATIONALRAT GLP