RICHTIG ODER FALSCH ? Alltagsmythen unter der Lupe
03.06.2022 GesellschaftDie Macht des Himmels
«Es ist ja auch Vollmond», heisst es manchmal, wenn jemand schlecht geschlafen hat oder besonders zerstreut ist. Seit jeher schieben Menschen dem Erdbegleiter alles Mögliche in die Schuhe. Zu Recht?
MARK POLLMEIER
In ...
Die Macht des Himmels
«Es ist ja auch Vollmond», heisst es manchmal, wenn jemand schlecht geschlafen hat oder besonders zerstreut ist. Seit jeher schieben Menschen dem Erdbegleiter alles Mögliche in die Schuhe. Zu Recht?
MARK POLLMEIER
In knapp zwei Wochen, am 14. Juni, wird wieder ein Vollmond die Nacht erhellen – sogar ein ungewöhnlich grosser. Was erwartet uns dann?
Zur Erklärung: Der Mond kreist auf einer elliptischen Bahn um die Erde. Dadurch ändert sich die Entfernung zur Erde ständig, je nachdem, an welchem Punkt sich der Erdtrabant gerade befindet. Fällt ein besonders geringer Abstand mit dem Vollmond zusammen, wirkt dieser Mond besonders riesig. Und obwohl die Mondoberfläche selbst nicht heller ist, fallen zu solchen Gelegenheiten 30 Prozent mehr Mondlicht auf die Erde. Wenn ein solcher Super-Vollmond am Himmel steht, sind sogar die Gezeiten stärker als sonst. Aber wie ist es mit dem Menschen? Wird auch er vom Mond beeinflusst?
Dass ein Himmelskörper, der sogar ganze Meere bewegt, auch auf die übrige Natur einwirkt, ist zunächst einmal naheliegend. So hört man immer wieder, dass bei Vollmond besonders viele Kinder geboren würden. Allein: Die Statistik sagt etwas anderes.
Nicht mehr Kinder als sonst
Erst kürzlich hat eine deutsche Universität über vier Millionen Geburten mit dem Mondzyklus abgeglichen. Die Annahme, dass in bestimmten Mondphasen mehr Kinder geboren werden, bestätigte sich jedoch nicht. Das Ergebnis deckt sich mit früheren Untersuchungen zu diesem Thema.
Etwas weniger eindeutig ist die Datenlage zur Schlafqualität. Für Aufsehen sorgte eine Studie aus dem Jahr 2013. Mit Tests im Schlaflabor stellte der Basler Chronobiologe Christian Cajochen fest, dass Probanden in Vollmondnächten etwas länger brauchten, bis sie einschliefen. Ausserdem dauerte ihr Schlaf kürzer als sonst. «Kein Mythos: Bei Vollmond schläft man tatsächlich schlechter», titelten damals viele Zeitungen.
Inzwischen gilt die Studie aus Basel als wenig aussagekräftig. Der Grund: Cajochen und sein Team hatten lediglich 33 Personen untersucht, stützten sich also auf eine eher spärliche Datenbasis. Nur ein Jahr später kam eine neue Studie des Max-Planck-Institutes für Psychiatrie zum gegenteiligen Ergebnis – mit immerhin 319 Probanden. Es folgten weitere Untersuchungen zum Thema Vollmond und Schlaf, und manche schienen einen Zusammenhang wieder zu bestätigen.
Hauptursache ist Stress
Die Befunde sind also nicht eindeutig – und überhaupt schwierig zu interpretieren. Manche Forscher bezweifeln, dass allein der Mond daran schuld ist, wenn jemand schlecht schläft. Als Hauptursache für Schlafstörungen gilt heute Stress in vielfältiger Form, unter anderem bedingt durch die nahezu ganztätgige Mediennutzung. Denkbar ist auch, dass schon die Erwartung, in einer Vollmondnacht schlecht zu schlafen, zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird.
Ein hoch entwickeltes Säugetier
Fazit: Es kann sein, dass der Mond einen gewissen Einfluss auf den Schlaf hat. Bei vielen Tierarten, vor allem bei Meereslebewesen, ist der Einfluss des Mondlichts auf ihr Verhalten gut belegt – und der Mensch ist letztlich auch nur ein hoch entwickeltes Säugetier.
Allerdings hat dieses Säugetier sich längst von seiner ursprünglichen, natürlichen Lebensweise entfernt. Es ist deshalb naheliegend, dass die Qualität des menschlichen Schlafs von anderen Faktoren weit stärker beeinflusst wird als durch den Lauf des Mondes.