Unwürdige Arbeitsbedingungen

  09.06.2022 Tourismus

«Nach einem Monat war ich so kaputt, dass ich nicht wusste, wie ich weitermachen soll.» So schildert eine Frau dem investigativen Recherche-Team REFLEKT* ihre Arbeitsbedingungen. Sie berichtet von ständiger Verfügbarkeit, unbezahlter Arbeit und der Ausnutzung ausländischer Angestellter. «Es war meine bisher schlimmste Erfahrung in einem Hotel.» Aus Angst vor den Repressionen ihres ehemaligen Arbeitgebers möchte sie weder ihren Namen noch ihr Gesicht preisgeben. 

Ihre Erfahrungen sind offenbar kein Einzelfall. Über mehrere Monate hat das Team von REFLEKT ehemalige Angestellte des Adelbodner Hotels kontaktiert und letztlich mit sieben Personen gesprochen. Sie alle arbeiteten im Zeitraum von Mitte 2019 bis Mitte 2021 unterschiedlich lange im gleichen Betrieb. Ihre Aussagen sowie schriftliche Belege weisen auf ein System hin, in dem die Ausnutzung ausländischer Angestellter keine Ausnahme ist. Und: Beim Hotelbesitzer handelt es sich nicht um irgendwen. Der Mann führt mehrere Betriebe in der Region, die allesamt Mitglied im Branchenverband HotellerieSuisse sind. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wird auch sein Name an dieser Stelle nicht genannt.

Ein zweiter Fall Gstaad?
«Wir sind doch keine Sklaven.» So beschreibt einer der Betroffenen seine Motivation, sich an die Presse zu wenden. «Ich will das, was mit uns gemacht wurde, jemandem erzählen.» Ein Mann legt Stundenblätter vor, die unter anderem vom Hotelbesitzer unterschrieben wurden. Sie zeigen: In einem Monat musste er an jedem einzelnen Tag arbeiten – ohne auch nur einen der gesetzlich vorgeschriebenen Ruhetage bezogen zu haben.

Arbeitsbedingungen, die an Sklaverei grenzen ­­­– es wäre nicht der erste derartige Fall im Berner Oberland. Vor etwas mehr als einem Jahr wurde ein Fall aus Gstaad öffentlich. Dort hatte ein Ehepaar jahrelang Frauen ausgebeutet, mit 12-Stunden-Schichten an sieben Tagen die Woche, und das bei minimalen Löhnen. Matratzen am Boden, minimale sanitäre Einrichtungen: Eindrücklich beschrieb die Kantonspolizei nach Abschluss der Ermittlungen die prekären Wohnverhältnisse, mit denen die Frauen sich abfinden mussten. Gibt es in Adelboden nun einen ähnlichen Fall? 

Die Recherchen von REFLEKT lassen darauf schliessen. Es gibt deutliche Anhaltspunkte dafür, dass der beschuldigte Hotelbesitzer seine Angestellten privat für sich arbeiten liess. Diese hätten ihn auch in ihrer Freizeit bedienen müssen, ohne Stunden aufzuschreiben, so die Berichte der Betroffenen. Zudem habe er Stundenblätter manipuliert, um externe Kontrollen zu täuschen, und Personen ohne Bewilligung angestellt. Der Hotelier streitet sämtliche Vorwürfe ab, konnte oder wollte aber keine Nachweise zu seiner Entlastung vorlegen. 

Auch ein Imageproblem für den Ort
Bleibt die Frage, warum solche Missstände nicht eher auffliegen. Auch dieser Frage ist das Team von REFLEKT nachgegangen, hat mit Gewerkschaftsvertretern geredet und Behörden kontaktiert, etwa die kantonale Arbeitsmarktkontrolle in Bern. Auch Chris Rosser, einer der bekannteren Adelbodner Hoteliers, wurde zu den Missständen in seiner Branche befragt. «Solche schwarzen Schafe sind auch ein Problem für den Tourismusstandort», findet dieser. 

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* REFLEKT ist ein unabhängiges Team von Journalistinnen und Journalisten, das mit verschiedenen Partnermedien zusammenarbeitet. Die oft aufwendigen Recherchen von REFLEKT wurden in der Schweiz und in Europa mehrfach ausgezeichnet.

«Ausnutzung mit Aussicht»
Die gesamten Recherche-Ergebnisse über die Missstände in einem Adelbodner Hotel sind auf der Website www.reflekt.ch sowie in der Wochenzeitung WOZ erschienen, Titel: «Ausnutzung mit Aussicht». Wir stellen hier Auszüge aus dem Artikel zu Verfügung. 

 

 


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