«Kirche bedeutet für mich Heimat»
22.07.2022 KrattigenAls hätte Krattigen auf sie gewartet: Uta Ungerer fühlt sich hier als neue Pfarrerin bereits sehr zu Hause. Kirche und Religion haben das Leben der Theologin von Beginn an auf spannende Art geprägt.
PETER ROTHACHER
Am 21. Mai ist sie ins Haus neben der Kirche ...
Als hätte Krattigen auf sie gewartet: Uta Ungerer fühlt sich hier als neue Pfarrerin bereits sehr zu Hause. Kirche und Religion haben das Leben der Theologin von Beginn an auf spannende Art geprägt.
PETER ROTHACHER
Am 21. Mai ist sie ins Haus neben der Kirche Krattigen gezogen und im Dorf als neue Pfarrerin freundlich aufgenommen worden. Uta Ungerer sucht den Kontakt zur Bevölkerung: «Die Menschen in meiner Kirchgemeinde dürfen wissen, wer ich bin. Und umgekehrt möchte ich wissen, mit wem ich es hier zu tun habe, was die Menschen bewegt; was ihnen Sorge bereitet, was ihr Herz erfreut, was sie hoffen, worauf sie stolz sind …» Begegnungen und Beziehungen seien darum äusserst wichtig, die Basis ihrer Arbeit und durch nichts zu ersetzen.
«Die Leute schätzen es, dass ich eine Pfarrerin mit Lebenserfahrung bin», sagt die 56-jährige, aus Nürnberg stammende Frau, «und dass ich als ‹Studierte› auch schon Handarbeit zu einem niedrigen Lohn verrichtet habe.» Tatsächlich ist ihr Werdegang – obschon Kirche und Glaube in ihrem sehr christlichen Elternhaus von Beginn weg zu ihrem Leben gehörten – nicht immer ganz gradlinig verlaufen. «Mein Vater war Theologe an der Universität und der Grossvater Prediger in einer Freikirche. Und so habe auch ich in Marburg Theologie studiert, mich dann aber immer weiter von der Kirche entfernt.» Nach dem Vikariat sei ihr die Sache zu eng worden, sie habe sich von der Kirche verabschiedet und sei 1996 in die Schweiz übersiedelt.
Beruflich vielseitig unterwegs
Auf dem Hauenstein sammelte die damals 30-Jährige auf einem Bio-Bauernhof Erfahrungen in der Betreuung Jugendlicher, arbeitete mit ihnen in der Küche und im Haushalt zusammen. Nach drei Alpsommern im Glarnerland, in Graubünden und der Innerschweiz war die Rückkehr nach Deutschland für sie kein Thema mehr. Sie heiratete, zog auf ein «Heimetli» mit Schafen in Melchnau und wurde Mutter dreier Töchter. Nebst der Arbeit in einem Heim für erwachsene Behinderte und in der Pflege eines Altersheims war sie als freiberufliche Theologin unterwegs. «Beispielsweise, wenn Paare nicht in der Kirche heiraten wollten, sondern auf einem Berg oder im Wald. Aber auch wenn es darum ging, die Asche Verstorbener an besonderen Orten in der Natur zu verstreuen.»
Dann sei der Ruf der Kirche aber wieder stärker geworden, und sie habe sich in Melchnau in der kirchlichen Unterweisung (KUW) engagiert, erklärt die mittlerweile geschiedene Theologin. «Seit fünf Jahren bin ich nun ordinierte Pfarrerin und habe während der letzten drei Jahre in dieser Funktion mit ganzem Herzen für die reformierte Kirche Thun gearbeitet. In einem Team mit acht Pfarrpersonen, zuständig für fünf Kirchen.» Gewohnt hat Uta Ungerer im Pfarrhaus bei der Markuskirche, einem riesigen Gebäude mit ebensolchem Umschwung, wie sie sagt. «Thun ist eine unglaublich schöne Stadt, aber auch anstrengend – nie still. Zudem ist vieles anonym, man kennt sich weniger als auf dem Land. Und so wuchs in mir die Sehnsucht nach dörflicher Atmosphäre.»
In Krattigen ein Juwel gefunden
Da sie in Thun zu 85 Prozent angestellt war, erschienen ihr die 60 Prozent der in Krattigen ausgeschriebenen Pfarrstelle als zu gering. «Doch der Zufall wollte es, dass ich in Krattigen beim Besuch einer Bekannten neben der Kirche aus dem Auto ausstieg. Da war es um mich geschehen: Das heimelige Gotteshaus mit dem wunderbaren Blick in die Weite liessen mich ganz tief durchatmen – und in der Folge habe ich mich erfolgreich beworben.»
Als dann zufällig noch die Wohnung im Nachbarhaus der Kirche frei wurde, erschien es der Pfarrerin, als hätte der Ort auf sie gewartet. Zusammen mit der jüngsten Tochter, der 15-jährigen Elisabeth sowie der Hündin Eeva zog Uta Ungerer ins Haus an der Spiezstrasse 8 und nahm am 1. Juni ihre Tätigkeit als Pfarrerin der Kirchgemeinde Aeschi-Krattigen auf. Dort arbeitet sie nun mit dem langjährigen Pfarrer Hansruedi von Ah zusammen und ist zusätzlich noch zu 20 Prozent in Thun beschäftigt.
Fragen, die Antworten erfordern
Welche Bedeutung hat die Kirche im Dorf? Ist sie das Herz der Gesellschaft? Wie kann sie unterschiedlichsten Menschen Heimat sein – in zeitgemässer Form? Das sind Fragen, welche die neue Pfarrerin beschäftigen. Und sie hält dazu fest: «Kirche findet für mich nicht nur im Gottesdienst statt. Das kann auch eine Begegnung, ein Gespräch beim Einkaufen oder Hundespaziergang sein – viele Formen, die es zu entdecken gilt. Kirche ist für mich wie ein Garten, den wir gemeinsam bepflanzen; in dem viel wachsen darf, was Menschen erfreut und sie nährt.»
Themen wie Klima und Krieg dominierten unsere komplexe und zerrissene Welt. Die Gesellschaft habe sich schon immer verändert, aber die Sehnsucht nach Geborgenheit und Ruhe sei geblieben, sagt Uta Ungerer. Auch viele Lebensfragen seien dieselben geblieben. Kirche ist für sie ein Ort, an dem diese Fragen Raum haben. «Ich gebe nicht unbedingt die richtigen Antworten – fixfertige Antworten bietet wohl Google – aber wir können gemeinsam unsere Fragen teilen und nach Antworten suchen.» Spiritualität und Gemeinschaft seien für viele Menschen wichtig. Unsere normalen Gottesdienste mit veralteten Liedern und einer Pfarrperson, die einen Vortrag hält, sind aber nicht mehr zeitgemäss.» Man müsse die Leute mit ihren Erfahrungen und Erlebnissen einbinden, sie berichten lassen. «Dann werden Gottesdienste lebendiger und sind mit dem Alltag verbunden.»
Beten und Kaffee trinken
Religion biete Heimat und verbinde, betont Ungerer. «Was gibt es Schöneres, als füreinander da zu sein, mit Taten und Gebeten. In Thun haben wir das Angebot eingeführt, abends eine halbe Stunde zu beten. Zudem haben wir bei wöchentlichen Treffen Themen besprochen, die die Menschen bewegen.»
Auf die Frage, ob es für uns eine Existenz nach dem Tode gebe, meint die Theologin: «Betrachten wir die Natur – nichts geht verloren. Alles wandelt sich. So auch wir, wenn es den Körper nicht mehr braucht. Wir sind hier wie dort verbunden mit der Kraft, die Ursprung allen Lebens ist. Mit der Kraft, die wir Gott nennen.»