Das früh verstorbene Multitalent
29.07.2022 KanderstegAm 6. August 1922 verunfallte Hans Biehly am Bühlstutz tödlich. Was der Arzt, Ballonpionier, Bergführer und Politiker in seinen 48 Lebensjahren für die Region geleistet hat, ist beeindruckend. Ein Rückblick zum 100. Todestag.
HANS RUDOLF SCHNEIDER Geboren wurde Hans ...
Am 6. August 1922 verunfallte Hans Biehly am Bühlstutz tödlich. Was der Arzt, Ballonpionier, Bergführer und Politiker in seinen 48 Lebensjahren für die Region geleistet hat, ist beeindruckend. Ein Rückblick zum 100. Todestag.
HANS RUDOLF SCHNEIDER Geboren wurde Hans Biehly 1874 als Sohn des gleichnamigen Oltener Bahnhofbuffet-Wirtes. Er schloss kurz nach der Jahrhundertwende sein Medizinstudium ab und wechselte als Arzt an das Spital Frutigen. Als Freund der Berge half er 1901 mit, die Sektion Altels des Schweizerischen Alpenclubs zu gründen, kurz darauf rief er auch den Skiclub Kandersteg ins Leben. Damals war er bereits als erster Dorfarzt von Kandersteg tätig. Eine grosse Herausforderung nahm Hans Biehly dabei als «Tunnelarzt» an. Während des Baus des Lötschbergtunnels von 1906 bis 1913 leitete er das Notspital in der Filfalle. Kleinere Unfälle waren bei der gefährlichen Arbeit unter Tage keine Seltenheit, es gab aber auch dramatische Ereignisse zu verarbeiten. Beim Einsturz des Tunnels unter dem Gasteretal am 24. Juli 1908 kamen auf einen Schlag 26 Mineure zu Tode.
Biehly, der Frontarzt
Ein spezieller Lebensabschnitt war sein Einsatz im Ersten Weltkrieg. Über einen seiner Vorträge mit dem Titel «Meine Erlebnisse an den Karpathen und in Galizien» berichtete die Zeitung «Der Bund» 1916: «Er bot in schlichter Form eine Fülle interessanter Beobachtungen, die er als Arzt an der österreichischen Karpathenfront gewonnen hat. Dort war er während vier Monaten dem vorgeschobenen Hilfsposten eines Honvédbataillons (Einheit aus Freiwilligen) zugeteilt und machte alle Vor- und Rückwärtsbewegungen dieser Truppeneinheit mit, die auf den Spuren der russischen Armee über die Karpathen in die Ebene von Galizien (heutige Westukraine) einzog. Die Tätigkeit des Frontarztes vollzog sich inmitten der Kämpfe und setzte jene Kaltblütigkeit voraus, die sich im Kriege wie von selbst einstellt. Schaurige Nachtgefechte beim Schein der Leuchtkugeln, Eilmärsche über das Gebirge, gelegentliche karge Verproviantierung, das Einschlagen einer Granate in nächster Nähe, das alles hat Dr. Biehly erlebt. Und er verstand es, unbefangen und vorurteilslos davon zu erzählen.»
Das Erlebte hinterliess bei ihm Spuren: So half er im Winter 1919 mit, 300 Kinder aus Wien im Raum Frutigen zu versorgen, die nach dem Weltkrieg zur Erholung in die Schweiz kommen durften. Kisten voller Kleider, Schuhe, Schokolade und Bücher organisierte er, und als die Kinder zurückkehrten, unterstützte er sie weiterhin in Wien, half mit Sammelaktionen und eigenem Geld. Er habe damit etlichen Kindern aus Elendsvierteln das Leben gerettet, beschieden ihm befreundete Wiener Ärzte nach seinem Tod.
Biehly, der Bergretter
Sowohl als Arzt als auch als begeisterter Alpinist war Hans Biehly bei Rettungs- und Bergungsaktionen im Einsatz. Notizen in verschiedenen Zeitungen zeugen von seiner Arbeit. Ein detailliert beschriebenes Beispiel vom Juli 1908 aus «Der Bund»: «Heute Vormittag, halb 9 Uhr, ist in einem Couloir am Doldenhorn auf der Seite gegen Kandersteg ein Tourist namens Egg, vierundzwanzigjährig, Assistent bei einem Zahnarzt in Bern, abgestürzt. Er hatte in Begleitung zweier anderer Herren und einer Dame die Besteigung unternommen. Sie gingen nicht am Seil. Man glaubt, dass Egg von einem Schlaganfall betroffen wurde. Er galt als geübter Bergsteiger. Eine zehn Mann starke Rettungskolonne unter Führung des Dr. Biehly ist um 6 Uhr von Kandersteg aufgebrochen. Sie hat um 9 Uhr die Klubhütte erreicht und wird um ungefähr 11 Uhr nachts bei der Unglücksstätte anlangen.» In der Ausgabe vom nächsten Tag wurde nachgeliefert: «Aller Wahrscheinlichkeit nach hat das Felsstück, an dem Egg sich festklammerte, nachgelassen. Egg stürzte rücklings ab, schlug mehrmals auf und blieb etwa 200 Meter unter der Absturzstelle auf dem Schneefelde liegen. Der Tod muss sofort eingetreten sein, da die Schädeldecke ganz zertrümmert war. Die Bergungskolonne langte um 10 Uhr bei der Leiche an und brachte sie heute früh um 8 Uhr nach Kandersteg.»
In zahlreichen Vorträgen gab Biehly seine eigenen Gedanken weiter, zum Beispiel über die sogenannte Bergkrankheit (Höhenkrankheit). Er behauptete, dass es diese gar nicht gebe. «Die Symptome sind lediglich die Folgen ungewohnter körperlicher Anstrengungen und unzweckmässiger Ernährung (zu viel Kaffee, Tee und Alkohol) in Verbindung mit intensiven nervösen Reizen.» Ein Zusammenhang mit Sauerstoffmangel in grossen Höhen bezweifelte er, das hätten seine eigenen Erfahrungen bei der Besteigung des Täschhorns (4408 Meter über Meer) gezeigt.
Biehly, der Ballonfahrer
Schlagzeilen machte Biehly zudem in der Luft. Als begeisterter Ballonfahrer nahm er mehrmals am berühmten Gordon-Bennet-Wettrennen teil. Dieses führte ihn 1909 beispielsweise von Zürich nach Possnitz in Südschlesien. Am 10. Juni wurde vermeldet, dass der Ballon «Cognac» mit Beauclair und Biehly als Führer nach 23-stündiger Fahrt gelandet sei. Sie hatten auf der ganzen Fahrt strömenden Regen und starke Winde. Der Ballon fuhr über Ulm, Nürnberg, das Fichtel- und Erzgebirge nach Sachsen, dann in einer Höhe von 4000 bis 5000 Metern mit Westnordwestwind nach Böhmen und längs des Riesengebirges bis Südschlesien – eine Fahrt von 750 Kilometern.
Bekannt wurde der Wahl-Kandersteger mit der Alpenquerung am 3. August 1913 von der Kandersteger Bahnhofmatte aus nach Alagna (I) zusammen mit dem berühmten Ballonfahrer Eduard Spelterini. Bis zu 6700 Metern hoch stieg der Ballon «Sirius». Die internationalen Ballonsportwochen der Spelterini-Gesellschaft fanden später über 40 Jahre lang in Mürren und Stechelberg statt, anfangs der 2000er-Jahre starteten die Ballone für wenige Jahre dann ab Kandersteg. 2002 wurde sogar ein Ballon auf den Namen Kandersteg getauft.
Biehly, der Politiker
Von 1914 bis vier Monate vor seinem Unfall im Jahr 1922 war Hans Biehly einer von damals sechs Frutigländer Grossräten im Kantonsparlament. Er gehörte der freisinnig-demokratischen Partei an. Wortgewandt vertrat er seine Anliegen. Er wollte die Oberländer Hotellerie fördern und unterstützen, forderte schärfere Tierschutzbestimmungen und wehrte sich des Öfteren heftig und erfolgreich gegen Ungerechtigkeiten. Unter Beifall des Grossen Rates forderte er den Regierungsrat auf, einen bestimmten Polizeihauptmann zu «pensionieren», da dieser seine Macht missbraucht hätte. Er habe einen kranken Feldjäger zwangsversetzt und ihn mit Frau und zehn Kindern in eine Zweizimmerwohnung gequetscht. Der Feldjäger sei kurz darauf verstorben. Biehly appellierte, dass sich der Kanton zumindest jetzt gut um die Witwe und die Kinder kümmern solle.
Spuren hat sein Wirken auch in der Lokalpolitik hinterlassen: Biehly war einer der Initianten, die 1907 die Abtrennung Kanderstegs von der Gemeinde Kandergrund forderten, was 1909 Erfolg hatte.
Autounfall am Bühlstutz
Verheiratet war er mit Alice Sterchi. Verschiedene Quellen erwähnen aber, dass es zwischen seiner Frau und dem österreichischen Bergsteiger und Skifahrer Walter Delmar gefunkt haben soll. Und so kam es angeblich an einem «frühen, trüben Morgen in einem Wäldchen bei Aarau» dazu, dass sich Biehly und Delmar zum Duell gegenüberstanden. Der Erstere stammte aus einer schlagenden Verbindung, der andere war königlicher und kaiserlicher Offizier. Was genau passierte, blieb im Morgengrauen verborgen. Alice Sterchi heiratete aber ihren Walter 1920 und sie lebten in Budapest.
Die Trennung hatte grossen Einfluss auf Biehlys Leben. Die Rede ist davon, dass er dem Alkoholkonsum nicht abgeneigt war. Ob dies beim Autounfall am 6. August 1922 in der untersten Bühlkehre einen Einfluss hatte, ist nicht belegt. Die Todesnachricht – sogar in verschiedenen Zürcher Zeitungen vermerkt – zeichnete folgendes Geschehen nach: Er hatte einen Besuch bei einem befreundeten Arzt gemacht und war auf der Rückfahrt. «Im Bühl, wo die Strasse eine scharfe Biegung macht, muss er die Herrschaft über sein Automobil verloren haben. Der Wagen stürzte um, wobei Dr. Biehly so unglücklich darunter zu liegen kam, dass er sofort verschied.» Biehly habe aus einem Querweg ein Pferdegespann kommen sehen und wollte bremsen. «Die Bremsen funktionierten offenbar nicht gut. Beim Versuch, dem Gefährt, das noch im Seitenweg war, möglichst auszuweichen, wurde der Wagen von der Strasse über die wenig hohe Böschung hinuntergeschleudert und der Führer darunter erdrückt. Zwei Damen fanden den Verunglückten wenig später bereits tot vor.»
Ausstellung in Kandersteg geplant
In schwülstigen Worten wurde ein Nachruf verfasst und publiziert. «Dem Sarge folgten am letzten Sonntag fast alle Bewohner des oberen Kandertals. Reich und Arm, Alt und Jung wollten dem lieben Dahingeschiedenen noch die letzte Liebe, die letzte Ehrung bezeugen. Und wer das riesige Leichengeleite sah, musste sich sagen, dass kein gewöhnlicher Bürger von uns gegangen sei, sondern ein weithin bekannter, aber auch ein Liebling des Volks. Seine lautere Gesinnung und seine grosse Fürsorge für die Armen trugen ihm tiefe Liebe, aber auch Hochachtung ein. Von allen Rednern wurde an seinem Sarge mit Recht die grosse Herzensgüte betont.»
Heute erinnert eine Bronzetafel auf dem Friedhof an den illustren Kandersteger und eine bescheidene hölzerne Büste ist im Dorfmuseum ausgestellt. Für 2024 plant das Kandersteger Ortsmuseum eine Sonderausstellung über Hans Biehly – zu seinem 150. Geburtstag. Was bei den Recherchen dazu wohl noch alles über Hans Biehly ans Licht kommt?
Quellen: Privatarchiv, Ortsmuseum Kandersteg, Neue Zürcher Zeitung, Der Bund.