THE YOUNG VIEW – Totes Wasser
29.07.2022 KolumneTotes Wasser
Die sozialen Medien sind so eine Sache für sich. Zum Teil unterhaltsam, zum Teil doof, manchmal gefährlich, und immer zeitraubend. Meistens verbringe ich meine Zeit auf Instagram, das von einer gemütlichen Foto-App mittlerweile zum Nachahmer von TikTok und ...
Totes Wasser
Die sozialen Medien sind so eine Sache für sich. Zum Teil unterhaltsam, zum Teil doof, manchmal gefährlich, und immer zeitraubend. Meistens verbringe ich meine Zeit auf Instagram, das von einer gemütlichen Foto-App mittlerweile zum Nachahmer von TikTok und mit den andauernden Werbungen und Vorschlägen so richtig mühsam geworden ist. Mal ganz davon abgesehen, dass ich es etwas unheimlich finde, wie gut die Reklame zum Teil passt (wir haben mal von einem neuen Fernseher gesprochen und als ich die App öffnete, bekam ich direkt Werbung für einen Fernseher von Media-Markt – werden wir eventuell doch abgehört?), gibt es auch immer diese Vorschläge («Das könnte dich ebenfalls interessieren»), die zum Teil akkurat, zum Teil aber so richtig seltsam sind. Aus irgendeinem Grund bekomme ich nämlich seit Kurzem immer irgendwelche Gesundheitsgurus vorgeschlagen, bei denen es sich meistens um Frauen in meinem Alter handelt, die grosse Entdeckungen gemacht haben und ihre besten Tipps zum gesunden Leben und richtigen Abnehmen teilen wollen (ja, danke, man muss es einem nicht immer unter die Nase reiben). Dabei sind diese Frauen meistens auch wunderhübsch, sehr dünn und natürlich wahnsinnig sportlich. So bekomme ich also immer mal wieder eine Dosis «so lebt man gesund» ab, und meistens wird mir vorgeredet, wie oft ich Früchte und Smoothies konsumieren soll, dass dieser eine neue Tee alle meine Probleme lösen wird, oder dass der regelmässige Konsum von Aktivkohle richtige Wunder für meinen Körper vollbringen wird.
Manche dieser Tipps sind ja noch halbwegs hilfreich (ich weiss, ich sollte mehr Früchte essen), und die tägliche Erinnerung genug Wasser zu trinken, ist ja auch nicht schlecht. Jedoch werden diese Gesundheitstipps immer abwegiger, wenn nicht sogar ziemlich absurd. Ein neuer Trend ist zum Beispiel, kein Wasser zu trinken. Die Theorie dahinter ist, dass Leitungswasser oder Wasser aus PET-Flaschen «tot» sei und vom Körper gar nicht aufgenommen werden kann. Stattdessen solle man «lebendes» Wasser zu sich nehmen, das in wasserreichen Früchten und Gemüse stecke. Dies solle den Körper «beleben» und besser verträglich sein. Mir stellt sich bei der ganzen Sache ja als erstes Mal die Frage, wie denn das Wasser überhaupt gestorben ist. Ist es etwa ertrunken? Oder in der Plastikflasche erstickt?
Ganz abgesehen davon, dass die ganze Terminologie einen zum Rätseln bringt, finde ich auch, dass definitiv eine Grenze erreicht wird, wenn diese Gesundheitsvorschläge, die einem auf den sozialen Medien um den Kopf geschlagen werden, langsam so richtig ungesund werden. Es mag ja möglich sein, über Früchte und Gemüse genug Flüssigkeit zu sich zu nehmen. Aber einfach mal laut zu verkünden, Wasser sei schädlich, scheint irgendwie nicht der Sinn der Sache zu sein. Irgendein Teenager hat ganz sicher versucht, kein Wasser mehr zu trinken und ist irgendwann dehydriert umgekippt. Echt jetzt, könnte man hier nicht mal etwas den gesunden Menschenverstand einschalten? Schlussendlich hilft wohl nur, die App mal auszuschalten und sich hinter ein gutes Buch zu setzen. Und eventuell ein Glas totes Wasser zu trinken – das Wetter ist ja auch viel zu heiss momentan. In dem Sinn: Prost!
XENIA SCHMIDLI
SCHMIDLIX@HISPEED.CH