SCHLUSSPUNKT - Zu viel Mut?

  23.02.2024 Kolumne

ZU VIEL MUT?

Alexej Nawalny ist tot. Die Nachricht liegt nun schon eine Woche zurück und ich bin nach wie vor schockiert. Er brach während eines Spaziergangs zusammen, so die offizielle Erklärung der Behörden. Sein Leichnam ist vorerst verschwunden – wen wundert’s. Putin hat die Fäden gezogen, die er seit Langem in der Hand hält.
Doch ist dies wirklich das vom Kreml gewünschte Ende – oder vielmehr ein Anfang? Menschen auf der ganzen Welt legen Blumen nieder, um ihrer Trauer Ausdruck zu verleihen. Auch in Russland, allerdings werden dort die Trauernden dafür verhaftet. Rede- und Meinungsfreiheit existieren nicht. Doch obwohl ihnen Gewalt droht, versammeln sich viele Menschen in der Öffentlichkeit. Nawalny hat ihnen Mut gemacht. Mut, aufzustehen und etwas zu verändern. Er kämpfte für ein freies Russland. Doch war es das wert? Viele fragen sich, warum der Oppositionspolitiker nach dem Giftanschlag im Jahr 2020 nach Russland zurückgekehrt ist. Die Antwort «um als Märtyrer zu sterben» trifft es wohl nicht ganz, doch letztendlich lief es darauf hinaus. Nawalny war überzeugt, sein Land retten zu können und riskierte damit nicht nur sein Leben, sondern auch, seine Familie allein zurückzulassen.
Diese Denkweise ist so beispielhaft wie verblüffend und für mich schwer nachvollziehbar, leben wir doch in einer heilen Welt. Menschenrechte, Redefreiheit und Demokratie sind bei uns selbstverständlich. Besonders für Journalisten ist die Wahrheit das höchste Gut und unabdingbar. Genau deshalb muss diese verbreitet werden, denn in Russland ist es schwer, an wahrheitsgetreue Informationen zu gelangen. Der Grossteil des Landes steht unter dem Einfluss von Putins Propaganda und seiner Diktatur. Wie kann es in der heutigen Zeit möglich sein, einfach jemanden umbringen zu lassen? Warum der Westen nicht aktiver ist, ist mir ebenfalls ein Rätsel. Doch Putin hat offenbar Angst, sonst hätte er seinen Widersacher nicht beseitigen lassen. Solche Angst hatte N awalny nicht. Auch seine Frau Julija gibt sich tapfer: Sie plant, mit seiner Anhängerschaft weiterzukämpfen. Hätte sie damit Erfolg, würde das auch uns im übrigen Europa ein bisschen besser schlafen lassen.

MARIA STEINMAYR

M.STEINMAYR@FRUTIGLAENDER.CH


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